Darius Göttert und Michael
Zwei unter einem Dach
Student Darius Göttert (24) wohnt bei Witwer Michael (82). Mit der Firma inGemeinschaft bringt Göttert jetzt Jung und Alt in WGs zusammen.
Manchmal, aber nur manchmal, wenn der 82-jährige Michael über seinen jungen Mitbewohner spricht, dann hat er einen väterlichen Ton drauf. „Er arbeitet viel zu viel“, sagt Michael. „Er feiert gar nicht mehr.“ Darin schwingt aber auch Respekt mit für den fleißigen jungen Mann, den sich der Designer in seine Wohnung geholt hat. „Wir arbeiten beide viel“, sagt Darius Göttert, und auch das klingt nach Wertschätzung. Und die ist sicherlich eine gute Grundlage für das gemeinsame Wohnen zweier Menschen aus ganz unterschiedlichen Generationen: Der 24-jährige Student und Jungunternehmer Darius wohnt mit einem Mann in einer WG, der sein Großvater sein könnte. Vor drei Jahren hat Michael, der seinen vollen Namen lieber nicht in die Öffentlichkeit trägt, ein Zimmer seiner Schwabinger Altbauwohnung untervermietet – und Darius damit auf die Idee gebracht, genau solche Mehrgenerationen-WGs voranzubringen. Seit einigen Wochen ist das Start-up inGemeinschaft online, das Jung und Alt zusammenbringen will (siehe Infokasten).
Seit mehr als vier Jahrzehnten ist Michael hier zu Hause. In der 160 Quadratmeter großen Wohnung wuchsen seine beiden Kinder auf, auch hat der Designer hier immer gearbeitet. „Jedes Zimmer war hier schon alles: Kinderzimmer, Schlafzimmer, Arbeitszimmer“, erzählt Michael. Es gab immer wieder Mieterhöhungen, in den 90ern eine große Sanierung. Wie günstig die Miete immer noch ist, wurde Michael und seiner Frau erst später bewusst – als die Wohnung immer leerer und das Geld weniger wurde. Michael hat zwar nie ganz aufgehört zu arbeiten, dennoch wurde es im Alter finanziell eng. „Erst dachten wir, wir suchen uns etwas Kleineres. Aber das hat sich überhaupt nicht gerechnet. Die kleineren Wohnungen waren teurer als unsere.“ Und fernab des Viertels, in dem die Familie verwurzelt ist. Dann entschieden sich die beiden, unterzuvermieten. Der erste Untermieter zog bald wieder aus, dann kam Darius. „Man merkt sofort, ob man jemanden sympathisch findet oder nicht. Und so sollte man auch entscheiden“, sagt der 82-Jährige. Darius hat Michaels Frau noch kennengelernt, bevor sie starb. Jetzt sind die beiden eine reine Männer-WG und Michael ist froh, dass es nicht zu still geworden ist in der Wohnung. Gemeinsam nutzen sie Küche, Bad und ein großzügiges Esszimmer. Der Witwer hat zwei Zimmer und zahlt zwei Drittel der Miete. Starre Regeln gibt es nicht. „Ich räume den Geschirrspüler ein, er räumt ihn aus“, sagt Michael. Ansonsten hat der Witwer nur eine Regel aufgestellt: „Wenn etwas ist, dann sollte man sofort drüber sprechen und nicht erst, wenn man sich schon tagelang über etwas geärgert hat.“ Manchmal sitzen sie zusammen, manchmal laufen sie sich auch ein paar Tage gar nicht über den Weg. „Das ist bei uns ganz ungezwungen“, sagt Michael.
Menschen wie Michael, die im Alter allein in einer großen Wohnung leben, weil die Kinder ausgezogen sind und/oder sie verwitwet sind, gibt es viele. Dass sie dennoch in ihren Wohnungen bleiben, nennt die Forschung den „Remanenzeffekt“. Die Statistik zeigt, dass Senior*innen im Durchschnitt weniger Miete zahlen, was an alten Mietverträgen liegt, und dass sie mehr Wohnraum zur Verfügung haben. In München liegt der Durchschnitt laut Mikrozensus 2022 bei rund 40 Quadratmetern pro Kopf, bei Senior*innen sind es 60 Quadratmeter, Menschen über 80 Jahren wohnen statistisch gesehen noch größer. Gleichzeitig leben immer mehr Menschen allein: In München sind mehr als die Hälfte aller Haushalte Singlehaushalte. Bezahlbarer Wohnraum ist knapp. Ein WG-Zimmer in München kostet derzeit im Schnitt 790 Euro. Wie wohnst du, was zahlst du, kennst du jemanden, der was weiß – das ist das Dauerthema unter Studierenden.
Genau da setzt Darius Göttert jetzt an. Er selbst kam mit 17 nach München, um hier sein Abitur mit Schwerpunkt Wirtschaft zu machen. Mit 21 war er schon CEO einer Softwarefirma. Nach zwei Jahren stieg er aus. Geld verdienen, ja, das will er auch. Aber nicht nur. „Es geht uns darum, gesellschaftlich etwas zu bewirken“, sagt Göttert. Er studiert Management Soziale Innovation, will verstehen, warum die Gesellschaft sich wie entwickelt, und neue Wege finden. „Die Wohnungskrise spitzt sich immer weiter zu, wir brauchen neue Konzepte.“ Zusammen mit Philipp Bögner gründete er inGemeinschaft.
Das Prinzip: Das Unternehmen sucht für Menschen, die ein Zimmer anbieten wollen, passende Kandidat*innen und wickelt alles ab – vom Vertrag bis zum nächsten Mieterwechsel. Anders als ein Makler verlangt inGemeinschaft aber keine einmalige hohe Provision, sondern ab Vertragsabschluss eine kleinere monatliche Gebühr und bleibt weiter Ansprechpartner. Göttert und Bögner brennen für ihr Thema, sie streben die „Win-win-win“-Situation an: Junge Menschen finden ein günstiges Zimmer, die Älteren können in ihren Wohnungen bleiben und sind womöglich weniger einsam. Und die Firma kann davon leben. „Wir wollen Generationen verbinden.“ Im Herbst ging die Website an den Start, derzeit kommen auf ein Zimmer, das angeboten wird, mehr als 150 Interessent*innen. „Das finanzielle Risiko ist hoch. Natürlich würden wir mehr verdienen, wenn wir erst mal von jedem Studierenden 50 Euro nähmen“, sagt Göttert. „Aber wir wollen, dass das Angebot möglichst niederschwellig ist.“
Zurzeit verbringen die beiden viel Zeit mit kostenfreien Gesprächen. „Es ist klar, dass Senioren und Seniorinnen, die überlegen, ob sie untervermieten, viele Fragen an uns haben“, sagt Darius Göttert. Und das Brückenbauen zwischen den Generationen funktioniert immer noch sehr analog. „Wir sprechen am Telefon und fahren auch zu den Menschen nach Hause.“ Die ersten Verträge sind gemacht: Zum Beispiel ist ein 19-jähriger Student gerade bei einem 78-jährigen alleinstehenden Herrn in einem Einfamilienhaus eingezogen. Jeder einzelne Vertrag bestärkt Darius Göttert in seinem großen Ziel: deutschlandweit Hunderttausende solcher Verbindungen zu schaffen und damit den Wohnungsmarkt zu verändern.
inGemeinschaft: So funktioniert’s
Wenn Sie ein Zimmer Ihrer Wohnung untervermieten wollen, aber nicht von Bewerber*innen und der Organisation einer Untervermietung überrollt werden möchten, können Sie den Service von inGemeinschaft nutzen.
Was Sie bei einer Untervermietung rechtlich beachten müssen, haben wir Ihnen auf den folgenden Seiten zusammengefasst. Bei inGemeinschaft geben Vermieter*innen nicht nur Größe, Ausstattung und Lage des Zimmers an, sondern auch, wie sie sich das Zusammenleben vorstellen, ob man zum Beispiel rauchen darf oder wie wichtig Sauberkeit ist. inGemeinschaft sucht dann Bewerber*innen aus, die möglichst gut passen. Nach der Vorauswahl gibt es Kennenlern-Treffen mit drei Kandidat*innen. Das Start-up begleitet den gesamten Prozess, regelt die Modalitäten des Untermietvertrags, sorgt dafür, dass Untermieter*innen eine Haftpflichtversicherung haben oder kümmert sich bei Bedarf um eine Renovierung oder Möblierung des Zimmers. Kosten fallen erst an, wenn es zu einem Vertragsabschluss kommt. Dann bekommt inGemeinschaft eine monatliche Provision – 15 Prozent des Mietpreises. Vermieten Sie also das Zimmer für 400 Euro, sind das 60 Euro monatlich. Die 400 Euro landen auf Ihrem Konto, der Untermieter oder die Untermieterin zahlt die 60 Euro an inGemeinschaft.
Das Unternehmen bleibt dann Ansprechpartner und liefert bei einem Mieterwechsel wieder neue Kandidat*innen. Damit die Kosten auch für jene, die auf Zimmersuche sind, überschaubar bleiben, gibt es eine Obergrenze: Die monatliche Gebühr beträgt höchstens 100 Euro, das heißt, ab einer Miete von rund 666 Euro steigt die Gebühr nicht mehr an. Sie können Ihr Zimmer online anbieten, aber auch telefonisch Ihre Fragen stellen, ohne dass Ihnen Kosten entstehen, das Team von inGemeinschaft kommt auch zu Gesprächen ins Haus.
Kontakt: 089/38030854, telefonische Erreichbarkeit
Montag bis Freitag 9 bis 17 Uhr
Mail: hallo@ingemeinschaft.de, Website: ingemeinschaft.org
Text: Tina Angerer
Fotos: Astrid Schmidhuber
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