Ausgeliefert, abgezockt, ausgenutzt
So schlimm ist der Münchner Wohnungsmarkt für junge Menschen.

Die Verzweiflung der Münchner Studentin Zoe G. haben auf TikTok 1,8 Millionen Menschen angeklickt: Unter Tränen erzählt sie da, dass sie anstatt in ihre neue Wohnung einziehen zu können, um mehr als 8000 Euro geprellt wurde.
In einem Folge-Video erklärte sie, was geschehen ist: Bei eBay-Kleinanzeigen antwortete die 23-Jährige auf eine Wohnungsanzeige und wurde zur Besichtigung eingeladen. 105 Quadratmeter für 2300 Euro warm, Zoe wollte dort mit ihrer Schwester einziehen. Ein Mann, nach Zoes Angaben fuhr er im Porsche vor, gab sich als Eigentümer aus, zeigte einen deutschen Ausweis und hatte den Schlüssel zu der leeren Wohnung in der Türkenstraße. Nach der Besichtigung bekam Zoe bald ihre Zusage und den Mietvertrag zugeschickt. Sie unterschrieb und überwies auf ein Starnberger Konto eine Kaution und zwei Monatsmieten – insgesamt 8200 Euro. Die geplante Schlüsselübergabe verschob der Mann per SMS, beim nächsten Termin behauptete er, er sei im Krankenhaus – dann blockte er Zoe bei WhatsApp. Spätestens jetzt wurde der Studentin klar, dass er ein Betrüger war.
Sie ist nicht die Einzige, der er die Wohnung in der Türkenstraße angeboten hat. Die Polizei hat offenbar eine zweistellige Anzahl von Anzeigen dazu vorliegen. Laut „tz“ berichten Nachbarn, dass vor dem Haus schon Leute mit Umzugswagen standen, aber auch sie hatten keinen Schlüssel. Mittlerweile hat die Polizei den Mann festgenommen, woher er den Schlüssel zur Wohnung hatte, ist ungeklärt.

Der Fall von Zoe G. ist besonders dreist, weil der Betrüger persönlich vor seinen Opfern stand. Ansonsten läuft die Abzocke derer, die eine Wohnung suchen, mehr und mehr im Internet. Manchmal gibt es die Wohnungen gar nicht, manchmal sind sie anders als im Netz beschrieben. Opfer sind oft junge Leute, sie haben noch wenig Erfahrung, viele suchen sehr dringend eine Bleibe. Begehrtes Ziel der Internet-Abzocke sind auch sogenannte Expats, Studierende und auch gut ausgebildete Berufstätige aus dem Ausland, die aus der Ferne eine Wohnung in München suchen, weil sie einen Job hier antreten oder ein Semester hier studieren wollen. „Sie haben oft keine Kenntnis vom deutschen Mietrecht oder haben Probleme, deutsche Verträge zu verstehen – das ist ja genau genommen schon für Deutsche eine Herausforderung“, sagt Anja Franz, Rechtsberaterin im Mieterverein München.
Auch die Münchnerin Feline (28), die gerade mit ihrem Partner eine Wohnung sucht, berichtet vom alltäglichen Wahnsinn auf dem Markt. Beide sind voll berufstätig und angestellt, eigentlich gute Voraussetzungen. Über ImmoScout werden sie von einer Maklerfirma zu einer Besichtigung eingeladen, bei welcher der Makler im 20-Minuten-Takt Menschengruppen durch die Wohnung schleust. Danach ruft der Makler bei dem Paar an: Sie seien in der engeren Wahl, der Eigentümer wolle, dass er auslose. „Dann sagte er, er würde uns die Wohnung ohne Losen geben, gegen Zahlung einer weiteren Monatsmiete.“ Feline lehnt freundlich ab, einen Tag später kommt die Absage. „Offensichtlich hat jemand anderes bezahlt. Was ich verstehen kann, wenn man unbedingt die Wohnung braucht“, sagte Feline. Schmiergeld zu verlangen ist illegal, es verstößt gegen das Gesetz zur Regelung von Wohnungsvermittlung. Allerdings ist die Beweislage schwierig, die Forderung kam natürlich nur mündlich am Telefon.

Solche „Angebote“ kennen viele Wohnungssuchende, in München ist das keine Neuigkeit. „Wir hören alle von diesen Erfahrungen. Es führt zur Verzweiflung, wenn man in München eine bezahlbare Wohnung sucht“, sagt David Vadasz vom AK Wohnen, einem Arbeitskreis von Münchner Studierenden, die sich für bezahlbaren Wohnraum einsetzen. „Alle hoffen erst mal auf Vitamin B, dass man über Hörensagen von einer frei werdenden Wohnung oder einem WG-Zimmer erfährt“, sagt Vadasz. „Je dringender jemand eine Wohnung sucht, umso wahrscheinlicher wird er dann Opfer von solchem Vorgehen.“ Laut einer aktuellen Studie des Moses-Mendelssohn-Instituts kostet eine Studi-Bude in München 800 Euro im Monat – im Durchschnitt. „Ich kenne auch immer mehr, die sagen, ich studiere woanders weiter oder ich fange hier erst gar nicht an“, sagt Vadasz. Der Trend gehe in München zum Studierenden mit reichen Eltern. „So was verändert eine Stadt – und mit Bildungsgerechtigkeit hat es auch nichts zu tun, wenn das Konto der Eltern darüber entscheidet, wer hier studieren darf.“
Julia ist 26, hat ihr Pädagogikstudium abgeschlossen und in München einen festen Job gefunden. Sie suchte im Internet nach einem WG-Zimmer. Auf einem gängigen großen Portal stieß sie auf ein Inserat, von dem sie auf ein anderes Portal weitergeleitet wurde, das als Vermittlung zwischen Interessent*innen und Vermieter*innen auftritt. 950 Euro für ein möbliertes 15-Quadratmeter-Zimmer im Gärtnerplatzviertel – satte 63 Euro pro Quadratmeter. Julia beißt trotzdem an. „Die Lage fand ich sehr verlockend, nah an der Isar und ganz nah bei meiner Arbeitsstelle“, erzählt sie. „Die Fotos waren auch sehr ansprechend.“ Ein Bad mit Wanne, die Küchenzeile top gepflegt. Bei dem Vermittlungsportal heißt es, dass alle Wohnungen geprüft und die Fotos garantiert echt seien. Eine Wohnungsbesichtigung vorab ist nicht gestattet. Zum Zahlen wird Julia dafür schon bald aufgerufen: 600 Euro Reservierungsgebühr und 1000 Euro Kaution. Sie bekommt per WhatsApp Kontakt zu einer Mitarbeiterin des Vermittlungsportals. „Ich hatte das Gefühl, dass da jemand ist, der für mich ansprechbar ist.“ Die Mitarbeiterin machte den Kontakt zur Eigentümerin, einer anderen Firma, die damit wirbt, mit „Co-Living“ für mehr Wohnraum in Städten zu sorgen. Das Konzept: Die Firma kauft große Wohnungen, teilt sie in kleinere Zimmer auf und vermietet diese einzeln als WG-Zimmer – möbliert und zu astronomischen Preisen.
Julia, die ja schon 1600 Euro an das Vermittlungsportal gezahlt hat, bekommt von der Eigentümerfirma einen Mietvertrag zugesendet, den sie digital unterzeichnet. Sie wird außerdem verpflichtet, für 250 Euro Mitglied in einer Community zu werden und die erste Monatsmiete zu zahlen – alles noch, bevor sie die Wohnung von innen gesehen hat, geschweige denn den Schlüssel hat. Per WhatsApp wird ihr mitgeteilt, dass sie den Schlüssel bei einem privaten Schlüsselschließfach abholen kann.

Danach folgt der Schock: Die Wohnung ist in einem katastrophalen Zustand. Schimmel an den Wänden, Ausgüsse verstopft, Möbel beschädigt. Das Badezimmer mit der Wanne, das auf dem Foto abgebildet war, gibt es gar nicht, nur eine verstopfte Dusche. Im Haus wohnen vor allem Studierende aus dem Ausland. In einem anderen Stockwerk findet Julia auch das Bad mit der Wanne, offensichtlich stammen die Fotos aus dieser einen Wohnung, die gut in Schuss ist. Die Ansprechpartnerin bei der Vermittlungsplattform, bei der sich Julia beschwert, antwortet nur, sie leite die Beschwerde weiter, danach antwortet sie gar nicht mehr. Bei der Eigentümerin selbst gibt es keinen persönlichen Ansprechpartner, auf Mails bekommt sie keine Antwort, stattdessen die Zahlungserinnerung für die nächste Miete.
Julia hat sich inzwischen Hilfe beim Mieterverein gesucht, um ihr Geld wiederzubekommen. „Rückblickend betrachtet war ich wohl naiv“, sagt sie. Wobei sie nicht die Einzige ist. „Der enorme Druck für die Suchenden, überhaupt eine Bleibe in München zu finden, öffnet solchen Betrügereien Tür und Tor“, sagt Monika Schmid-Balzert, stellvertretende Geschäftsführerin des Mietervereins München.
Noch eine weitere Gruppe junger Menschen wird auf dem Münchner Wohnungsmarkt systematisch abgezockt: Azubis aus dem Ausland. Sie werden von Firmen massiv aus Ländern außerhalb der EU angeworben, man braucht die Arbeitskräfte. Wenn die Jugendlichen und jungen Erwachsenen einen Ausbildungsplatz haben, dann bekommen sie für die Zeit auch ein Aufenthaltsrecht. Die Firmen vermitteln dann oder bieten selbst oft auch die Unterkünfte – nicht selten überteuert, manchmal werden drei oder vier Menschen in einem Zimmer untergebracht.
„Die Betroffenen halten das aus, weil sie mehrfach abhängig sind: Der Chef ist gleichzeitig der Vermieter. Und wenn sie den Ausbildungsjob verlieren, verlieren sie auch die Wohnung und den Aufenthaltstitel“, sagt Peter Hein von azuro, einer Beratungsstelle für Azubis, die vom Kreisjugendring München-Stadt in Kooperation mit der DGB-Jugend München betrieben wird. Die Wohnung verlieren sie oft von heute auf morgen – dabei sind Mietverträge ohne Kündigungs- bzw. Räumungsfrist natürlich auch für Azubis nicht zulässig. Sechs Monate dauert es dann, bis die Menschen auch kein Aufenthaltsrecht mehr in Deutschland haben. Besonders betroffene Branchen sind die sogenannte Systemgastronomie, aber auch das Hotelgewerbe sowie Metzgerei- und Bäckereiketten. In manchen Unternehmen werden Azubis schlecht oder gar nicht ausgebildet und sind nur billige Arbeitskräfte. Damit umgehen die Firmen den Mindestlohn von 12,82 Euro – der Azubi-Lohn liegt bei etwa 4,30 Euro. Das Wohnproblem ist also nur eine weitere Facette der Ausbeutung dieser Menschen.
Vorsicht! Darauf sollten Wohnungssuchende achten
Vermittlungsgebühren:
Wenn Sie selbst keine Maklerfirma mit der Suche nach einer Wohnung beauftragt haben, müssen Sie auch keine Vermittlungsgebühren bezahlen. Und zwar weder bei Makler*innen, die Sie bei einer Besichtigung treffen, noch bei Portalen im Internet. Im Netz verlangen immer mehr Portale für die Herstellung eines Kontakts zu Vermieter*innen „Servicegebühren“, „Reservierungsgebühren“, „Besichtigungsgebühren“ oder Ähnliches. „Wir raten davon ab, solche Portale zu benutzen. Wohnungssuchende werden da schon zur Kasse gebeten, obwohl sie die Wohnung noch gar nicht betreten haben“, sagt Anja Franz vom Mieterverein.
Vorkasse Miete und Kaution:
Auch das ist immer weiter verbreitet im Netz: Mieter*innen bekommen einen Vertrag online zugeschickt und unterzeichnen ihn. Dann fallen Kaution und erste Miete an. Anja Franz: „Man sollte niemals die Kaution bezahlen, bevor die Wohnung nicht übergeben wurde. Seriöse Vermieter*innen übergeben die Wohnung, dabei werde ein Übergabeprotokoll gemacht und der Schlüssel ausgehändigt. Dann erst zahlen Mieter*innen die erste Rate der Kaution und die erste Miete.“ Mit der „Buchung“ im Netz geht auch die Masche einher, dass die Wohnungen nicht besichtigt werden dürfen. Zwar geben die Portale an, dass die Wohnungen geprüft seien, wer dann aber – wie unser Mitglied Julia – in einer völlig anderen Wohnung landet, erreicht oftmals niemanden mehr. „Hier rechnet man damit, dass die Betroffenen dann einfach Ruhe geben“, sagt Anja Franz. Selbst wer dann auszieht, bleibt auf den zu Unrecht erhobenen Kosten sitzen.
Schlüssel per Post und Überweisung ins Ausland:
Seit Jahren gibt es angebliche Vermieter*innen, die behaupten, sie seien gerade im Ausland und könnten deswegen nicht zur Schlüsselübergabe kommen. Gegen eine Bezahlung als Kaution würden sie den Wohnungsschlüssel zuschicken. Der kommt dann nie an. Auch hier: Finger weg!
Text: Tina Angerer
Fotos: Philipp Gülland, TikTok/@zoevictoria, privat