Droht Sendling der Ausverkauf?
Anlässlich des Mietenstopp-Aktionstages organisiert der Mieterverein mit der Bürgerinitiative »#ausspekuliert« und Studierenden einen Spaziergang durch das von einer neuen Gentrifizierungswelle bedrohte Viertel. Mieter*innen erzählen von ihren Sorgen.
Eine neue Gentrifizierungswelle in Sendling: Das befürchten Bewohner*innen und Lokalpolitiker*innen spätestens seit der Einweihung des Gasteig-Interimsquartiers „HP8“ im Herbst 2021. Anlässlich des bundesweiten Aktionstages der Kampagne Mietenstopp im Juni haben deswegen der Mieterverein München, die Bürgerinitiative „#ausspekuliert“ und der hochschulübergreifende „AK Wohnen“ der Münchner Studierenden zu einem Spaziergang durch Sendling eingeladen. Gemeinsam besuchten die Aktivist*innen das sogenannte Sendlinger Loch in der Alramstraße 14. Eine verwaiste Baugrube, die deutschlandweit traurige Berühmtheit erlangt hat. Außerdem sprachen sie mit Bewohner*innen zweier Mietshäuser in Sendling, die Sorge haben, dass sie aus ihrem Zuhause verdrängt werden sollen. Problem: Bezahlbarer Wohnraum, in den diese Menschen im Ernstfall ausweichen könnten, ist in München extrem rar.
Sendlinger Loch
Umso schlimmer, dass bei geplanten Bauvorhaben oft nur teure Eigentumswohnungen entstehen, wenn die Stadt rechtlich keine Möglichkeit hat, anderes vorzuschreiben. Ein Extrembeispiel, wie vieles schieflaufen kann, ist das Sendlinger Loch in der Alramstraße 14, das sogar bei Google Maps als traurige Sehenswürdigkeit mittlerweile gelistet ist. Hier sollten 128 Luxusapartments entstehen. Seit Jahren aber klafft ein 15 Meter tiefes Loch in bester Lage. „Hier sollten eigentlich Wohnungen gebaut werden“, sagte Anabel Kauer vom „AK Wohnen“ der Münchner Studierenden beim Beginn des Stadtteilspaziergangs am Sendlinger Loch. Doch das Ergebnis sehe jeder: „Es ist nichts da! In einer Stadt wie München ist das natürlich eine Katastrophe.“ Es gebe viel zu wenig bezahlbaren Wohnraum. Studierende, ältere Menschen und Personen mit geringem Einkommen hätten keine Chance auf dem normalen Mietmarkt. Es gebe viel zu wenige Wohnheimplätze für junge Leute. Bezahlbarer Wohnraum müsse endlich ganz oben auf die Prioritätenliste der Politik. Rudi Knauss von der Bürgerinitiative „#ausspekuliert“ ergänzte, es könne nicht sein, dass „die Anlage in Betongold die höchsten Renditen abwirft“. Die Bürgerinitiative sei enttäuscht von der Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP auf Bundesebene. Beispielsweise müsse diese das kommunale Vorkaufsrecht für Wohnhäuser endlich wieder rechtssicher einführen. Grüne und SPD dürften sich nicht hinter der FDP verstecken, sondern müssten endlich mehr Mieterschutz gegen eben diese durchsetzen, so Knauss.
Lindenschmitstraße
Wie schwierig Mieterschutz auf einem überhitzten Markt wie München ist, zeigt auch das Beispiel Lindenschmitstraße 25. Das Mietshaus liegt im Erhaltungssatzungsgebiet, und der neue Eigentümer hat beim Kauf eine Abwendungserklärung unterschrieben. Das heißt, er hat sich verpflichtet, keine Luxusmodernisierungen vorzunehmen und frei werdende Wohnungen nur zu von der Stadt festgeschriebenen, sozialverträglichen Preisen und an förderberechtigte Personen zu vermieten. Was das aber nicht verhindert: Die alteingesessenen Mieter*innen, teilweise wohnen sie schon mehr als 40 Jahre in dem Haus, haben das Gefühl, dass sie hier nicht mehr erwünscht sind. „Uns Mietern soll es so ungemütlich wie möglich gemacht werden“, sagt Thomas Hinz (62), der seit 24 Jahren in der Lindenschmitstraße lebt. Der neue Eigentümer des Hauses ist seit einigen Jahren eine Immobilien-GmbH. Und die hat große Pläne für das Haus: Der Speicher soll zu einer großen Luxuswohnung umgebaut, außerdem der Innenhof bebaut werden. Seit etwas mehr als einem Jahr laufen die Arbeiten an dem denkmalgeschützten Haus. Beim Ortstermin der Kampagne Mietenstopp ist das Gebäude eingerüstet und mit einer Plane abgedeckt. Ein Kran steht davor. Die Mieter*innen erzählen, dass Dachrinnen entfernt worden seien, Fenster seien aufgequollen, Wände nass geworden. In einer Wohnung direkt unter dem Speicher, der ausgebaut wird, seien Teile der Decke eingebrochen, Strom gebe es hier aktuell nicht. Die Wohnung sei nicht bewohnbar, der ältere Mieter anderweitig untergebracht. „Doch all das interessiert den Eigentümer nicht, wir haben keinen direkten Kontakt“, sagt Thomas Hinz.
Schon kurz nach dem Eigentümerwechsel sollten die Mieten erhöht werden. Die Mieter*innen wehrten sich. „Die uns bekannten Mieterhöhungsverlangen wurden dann alle wieder zurückgezogen, weil sie nicht gerechtfertigt waren“, so Hinz. Es seien mittlerweile drei Mietparteien ausgezogen. Es gebe Hinweise darauf, dass Neuvermietungen nicht zu den in der Abwendungserklärung vereinbarten Konditionen angestrebt werden. Mietervereins-Vorsitzende Beatrix Zurek: „Ziel eines Vorgehens wie in diesem Fall ist es in der Regel, die Mieter zu zermürben. In anderen Bundesländern gibt es Wohnungsaufsichtsgesetze. Ein solches Gesetz wäre auch für Bayern wichtig, damit der Staat Missstände bekämpfen kann und nicht der Einzelne aktiv werden muss. Aber die Bayerische Staatsregierung sieht keinen Anlass dafür.“ Zumindest die Stadt München prüft derzeit, ob Verstöße gegen die Abwendungserklärung, das Erhaltungssatzungsrecht und den Denkmalschutz vorliegen.
Sigi-Sommer-Haus
Genauso wie die Bewohner*innen der Lindenschmitstraße fühlen sich die Mieter*innen des sogenannten Sigi-Sommer-Hauses, dem Eckbau an der Bruderhof-/Schäftlarnstraße, von einer Verdrängung bedroht. Hier wurde der 1996 verstorbene Schriftsteller und „Blasius“-Kolumnist der „Abendzeitung“, Sigi Sommer, geboren. Für die aktuellen Mieter*innen änderte sich vor zwei Jahren alles schlagartig. Damals wurde das mittlerweile auch denkmalgeschützte Haus an einen neuen Eigentümer verkauft, Modernisierungsarbeiten laufen. Das Haus wurde aufgeteilt, und die Wohnungen wurden teils einzeln verkauft.
Manche gehören noch dem Investor. Ihnen habe sich schnell der Eindruck aufgedrängt, dass der Investor vor allem an einem interessiert war: dem Auszug von möglichst vielen Mieter*innen, die teils sehr günstige Mieten bezahlten, erzählen einige der übrig gebliebenen Bewohner*innen. „Viele unserer ehemaligen Nachbarinnen und Nachbarn haben eine Abfindung bekommen und sind mittlerweile weg. Wir finden es traurig, was hier passiert“, sagt Jens-Jan Erdmann (59). Er sitzt für die Grünen im örtlichen Bezirksausschuss und würde mit seinem Lebensgefährten gerne im Haus wohnen bleiben.
Wer in eine Modernisierung samt Mieterhöhung nicht einwillige, dem drohe eine fristlose Kündigung – aus vorgeschobenen Gründen, erzählt Erdmann. Das bestätigen auch Alia Tagba (38) und Lee Burger-Tagba (40). Das Ehepaar lebt mit seinen beiden Kindern (5 und 7) im Sigi-Sommer-Haus. Bei den Bauarbeiten werde keine Rücksicht auf die Mieter*innen genommen, so die beiden. Es seien im Hausflur faustgroße Brocken aus der Decke gefallen. „Die hätten unsere Kinder treffen können.“
Fotos: Lukas Barth