Wie eine zweite Familie

Seit sechs Jahren ist Nancy Lau (Foto 2.v.l.) Hauptmieterin einer WG in Sendling. Hier geht es nicht nur darum, sich die Mietkosten zu teilen, sondern in einer echten Gemeinschaft zu leben.

Frau Lau, wie wohnen Sie?

Wir haben 140 Quadratmeter. Vier einzelne Zimmer, ein kleines Gästezimmer und eine Wohnküche. Bisher waren wir zu viert. Im Juni ist eine Mitbewohnerin ausgezogen, wir hatten schon eine Nachfolgerin, die aber kurzfristig abgesprungen ist. Jetzt haben wir beschlossen, dass wir zu dritt bleiben und ein Wohnzimmer einrichten. Zur WG gehören noch Richie, ein Koch, und Maren, die Architektur studiert hat. Wir zahlen warm mit Hausratsversicherung 2300 Euro. Ich weiß, dass ich richtig Glück gehabt habe.

Wie sind Sie an die Wohnung gekommen?

Als ich nach München kam, konnte ich bei einem Freund wohnen, der im Ausland gearbeitet hat, ich hatte also Zeit. Das hier war meine zweite Besichtigung. Die WG suchte eine Hauptmieterin.

„Der Hausmeister zählt eigentlich auch zu uns, er ist mindestens zweimal die Woche hier“

Wem gehört die Wohnung?

Unsere Vermieterin hat mit ihrem Bruder mehrere Häuser in München. Der Hausmeister hat Wohnrecht auf Lebenszeit, und überhaupt ist es hier ein bisschen so, wie es früher war. Der Hausmeister, Ewald (oben links im Bild), zählt eigentlich auch zu uns, er ist mindestens zweimal die Woche hier.

Was haben Sie für ein Verhältnis?

Ein sehr freundschaftliches. Er ist 77, wohnt zwei Stockwerke über uns und ist viel bei uns. Er sagt, er sitzt lieber mit den Jüngeren rum, da wird er nicht so schnell alt. Er ist wie ein Opa für uns, wenn er zum Arzt muss, geht einer mit. Im ganzen Haus wird sich gekümmert. Während des Lockdowns haben alle für Ewald eingekauft. Wir haben überhaupt eine super Hausgemeinschaft. Wenn die Nachbarin unter uns Brot übrig hat, klingelt sie. Oder wenn die anderen Nachbarn mit den Kindern zu einer Schulveranstaltung gehen, passen wir auf den Hund auf. Es gibt zwölf Wohnungen, zwei andere WGs. Bei uns ist es bunt und lebendig.

„Hier hat das Leben im Haus und in der ganzen Straße fast Dorfcharakter“

Wie wichtig ist Ihnen die Gemeinschaft?

Ich habe früher auch alleine gewohnt, und mir fehlte das Familiäre. Ich hatte mir dann auch eine Berufstätigen-WG angeschaut, wo es feste Küchenzeiten für jeden gab. Mir war gleich klar, das will ich nicht. Hier hat das Leben im Haus und in der ganzen Straße fast Dorfcharakter. Als im Lockdown alle festgestellt haben, dass es gut wäre, seine Nachbarschaft zu kennen, ist uns noch mal bewusst geworden, wie toll das ist, dass wir das schon haben. Ich hatte zum Beispiel eine Verletzung am Knie und brauchte Krücken. Ich weiß gar nicht, wie das alleine hätte gehen sollen.

Nervt das Zusammenleben auch manchmal?

Klar, wenn ich wieder vergessen habe, meine Haare aus dem Ausguss zu entfernen oder jemand in der Küche was stehen gelassen hat. Wenn du alleine wohnst, nervst du dich halt selbst, in der WG nervst du jemanden anderen an. Das sind aber Kleinigkeiten. Und natürlich kann jeder die Tür zumachen, wenn er seine Ruhe haben will. Wenn ich einen langen Tag in der Klinik hatte, an dem den ganzen Tag die Kinder geweint haben, dann will ich auch nur noch in mein Zimmer.

Essen Sie oft gemeinsam?

Es ergibt sich häufig, aber es gibt da keinen Druck. Maren ist zum Beispiel Veganerin, Richie ist Engländer durch und durch, mit Fish und Chips und Fleisch. Aber auch das geht, dass man sich beim Kochen anpasst und jeder auf seine Kosten kommt.


„Wenn einer das Gefühl hat, dass es ein Ungleichgewicht gibt, wird drüber gesprochen“

Gibt es einen Putzplan?

Ja. Wir haben ausformuliert, welche Basics wir bei Bad, Küche und Flur wichtig finden und was unsere 100 Prozent sind. Wir helfen uns da aber auch. Richie hat zurzeit zwei Gastro-Jobs, der schafft gerade nicht so viel. Wenn einer das Gefühl hat, dass es ein Ungleichgewicht gibt, wird drüber gesprochen. Einmal haben wir gemerkt, dass es nicht funktioniert, dass jeder nur das Allernötigste macht. Dann haben wir gesagt: Ok, der Putzplan wird 14 Tage außer Kraft gesetzt und wir gucken mal, wie unsere Wohnung dann aussieht. Das Coole war, es hat trotzdem funktioniert, jeder hat sich beteiligt.

Gibt es auch eine Gemeinschaftskasse?

Nein. Ich bin die Hauptmieterin, die anderen haben einen Untermietvertrag. Ich kümmere mich um alles Vertragliche, Strom usw. Und wenn ein neuer Duschkopf gekauft werden muss, teilen wir das. Und bei Sachen wie Klopapier oder gemeinsamem Kochen geht das einfach so reihum.


„Wir haben eine ziemlich strikte Corona-Politik gefahren“

Wie war das mit dem WG-Leben im Lockdown?

Wir haben eine ziemlich strikte Corona-Politik gefahren. Richie gehört zur Risikogruppe, Ewald auch, der Freund von unserer anderen Mitbewohnerin arbeitete in einer Kita in der Notbetreuung, ich arbeite im Gesundheitswesen. Ich musste immer ins Krankenhaus, außerdem arbeite ich mit Mukoviszidose-Kindern – ich musste mich drauf verlassen können, dass die anderen mitziehen. Gleichzeitig war ich gerade am Anfang auch ein Risiko für die anderen. Es ging dann eben nicht mehr darum, wie ich die Handtücher zusammenlege, sondern womöglich um Menschenleben. Immer, wenn Herr Söder gesprochen hatte, haben wir unsere WG-Regeln neu besprochen. Zum Glück sind wir jetzt alle geimpft. Trotzdem hat Corona auch bei uns Spuren hinterlassen, weil wir natürlich auch viel aufeinandergesessen sind. Deswegen wollen wir für das freie Zimmer nicht wieder jemanden Neuen casten.

Wie laufen denn solche Castings ab?

Wir laden immer nur drei Leute ein. Vorher wird die Anzeige schon recht deutlich formuliert: keine Tierallergiker, keine AFD-Wähler, nur Nichtraucher und Sitzpinkler. Das ist nur ehrlich und spart Zeit. Eine unserer Fragen beim Gespräch ist: Was ist deine schlimmste Eigenschaft?

Was ist Ihre schlimmste Eigenschaft?

WG-mäßig gesehen sicher die Sache mit den Haaren im Ausguss.

Wäre es für Sie auch eine Option, mal wieder alleine zu wohnen?

An den allermeisten Tagen im Jahr würde ich sagen: Nein, ich mag das genau so.

Wohngemeinschaft & Mietvertrag

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, eine WG im Mietvertrag zu regeln. Variante eins: Es gibt einen Hauptmieter oder eine Hauptmieterin. Die anderen bekommen einen Untermietvertrag. Wichtig: Die Vermieterin oder der Vermieter muss der Untervermietung und auch den Personen, die Untermieter*innen werden sollen, zustimmen. Der Hauptmieter oder die Hauptmieterin haftet bei einem solchen Konstrukt alleine, wenn jemand die Miete nicht zahlt oder Schäden in der Wohnung verursacht. Auf jeden Fall sollten die WG-Mitglieder in einem Zusatzvertrag untereinander regeln, wie die Nebenkosten und die Kaution aufgeteilt werden und wer was beim Auszug renoviert.

Andere Variante: Alle stehen im Mietvertrag und alle haften. Dann ist es wichtig, dass ausdrücklich festgehalten ist, dass es sich um eine WG handelt. Dann muss die Vermieterin oder der Vermieter dem Wechsel eines WG-Mitglieds zustimmen. Wenn aber die gesamte Wohnung aufgegeben werden soll, müssen alle WG-Mitglieder die Kündigung unterschreiben.

Text: Tina Angerer
Fotos: Sebastian Arlt

 
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