Keine Chance auf dem freien Markt

Gemeinschaft und bezahlbares Wohnen: Tina Hohmann wohnt mit ihren Kindern in »San Riemo«, einem Haus der jungen Genossenschaft »Kooperative Großstadt eG«

Frau Hohmann, waren Sie heute schon auf dem Dach? Ja, ich bin sehr oft oben. Ich kümmere mich ja auch um den Dachgarten. Und ich liebe es, den Sonnenaufgang dort zu erleben. Man kann auf der einen Seite bis zur Allianz Arena sehen, auf der anderen Seite bis zu den Bergen. Die ersten Wochen haben meine Töchter und ich ständig die Berge fotografiert – aber in echt sind sie eben immer noch schöner als auf den Bildern.

Ist man da oben auch mal alleine? Bei Sonnenaufgang schon, bei Sonnenuntergang ist eigentlich immer jemand oben – zumindest im Sommer. An Halloween gab es eine kleine Feier für die Kinder, an Silvester wird dort auch gefeiert. Das ist ja das Geniale: Wir haben ein Haus, in dem der schönste Platz für alle da ist und nicht nur für die Millionäre.

Wie wohnen Sie? Ich bewohne mit meinen beiden Töchtern 77 Quadratmeter, drei Zimmer mit Wohnküche. Unsere Genossenschaft hat selbst gebaut, wir sind im November 2020 eingezogen. Eine Besonderheit hat die Wohnung auch noch: Ein Kinderzimmer hat eine weitere Tür hinaus ins Treppenhaus. Wenn meine Töchter mal ausgezogen sind, könnte man das abtrennen und meine Wohnung verkleinern.

Was kostet das? Ich bin alleinerziehend und mein Gehalt ist nicht so hoch. Deswegen habe ich eine München-Modell-Wohnung, deren Bau von der Stadt gefördert wurde. Ich zahle jetzt 1170 Euro Warmmiete ohne Strom – das ist fast die Hälfte meines Nettogehalts. Und ich musste rund 50 000 Euro Einlage zahlen.

Die hatten Sie übrig? Nein, ich habe alle meine Ersparnisse reingegeben und noch Unterstützung von meinen Eltern bekommen. Sonst wäre es nicht gegangen.

»Ich dachte mir: So will ich nicht auf Dauer leben«

Wie haben Sie vorher gewohnt? Ich stamme aus Franken, habe später in England gearbeitet und dort meine Kinder bekommen. Vor zehn Jahren bekam ich das Jobangebot als Fachreferentin an der TU München und wir sind als Familie zurück. Damals hatte ich das große Glück, dass ich in Unterschleißheim in eine Staatsbedienstetenwohnung ziehen konnte. Auch nach meiner Trennung blieb ich dort.

Warum sind Sie da weg? Ich bin angestellt, nicht verbeamtet. Daher war immer klar, dass ich spätestens rausmuss, Fotos: Florian Summa, Astrid Schmidhuber wenn ich in Rente gehe. Und es war dort eben so anonym, wie es in den meisten Häusern ist. Jeder lebte so für sich. Ich habe dort zehn Jahre gewohnt und kannte nur zwei Leute so gut, dass ich auch mal in deren Wohnung war. Einmal ist eine Frau in ihrer Wohnung gestürzt und niemand hat es so richtig gemerkt. Das hat mir schon zu denken gegeben und ich dachte mir: So will ich auf Dauer nicht leben. Ich möchte in einer Gemeinschaft mit anderen leben.

Welche Gemeinschaftsräume nutzen Sie? Wir haben eine sehr große Lobby, wo auch eine Holzwerkstatt untergebracht ist. Es gibt dort eine Küchenzeile und einmal in der Woche gibt es dort so eine Art Kneipentreffen. Wir haben eine Leinwand mit Beamer, die Kinder im Haus veranstalten da auch mal Rennen mit ihren Rollern. Zusammen mit den Leuten aus sechs anderen Wohnungen kann ich auch noch ein zusätzliches Wohnzimmer nutzen. Manche haben direkt eine Tür dorthin, für mich ist es einen Stock tiefer.

Nimmt man dann seine Chips und setzt sich da runter? Ich nutze den Raum eher, wenn ich etwas Besonderes machen will. Ich nähe zum Beispiel dort, weil es einen großen Tisch gibt. Meine Töchter haben da auch schon Geburtstag gefeiert. Es gibt ein Yogatreffen, manchmal isst man dort zusammen. Manche Familien haben in dem Raum zusammen Weihnachten gefeiert. Und wir stellen da auch Dinge ab, die wir teilen, Wok, Waffeleisen, Bügelbrett – alles Dinge, die man nicht täglich braucht. Es wäre doch Unsinn, wenn jeder das in seiner Wohnung abstellen würde.

Was für Leute leben in dem Haus? Vom Einkommen her haben wir eine ziemlich große Bandbreite – wobei auch klar ist, dass durch die Einlage, die zur Finanzierung nötig ist, das leider auch nicht jeder machen kann. Der älteste Bewohner ist 70 Jahre, was wir wenig haben sind Menschen zwischen 20 und 30. Man musste sich ja früh festlegen, dass man hier mitmacht, das machen Leute mit Mitte 20 eher nicht. Und ich denke, alle, die hier eingezogen sind, wollen bleiben. Es gibt viele junge Familien mit kleineren Kindern – und für die ist das hier ideal. Man unterstützt sich, die Kinder sind nie alleine, man gibt Sachen weiter. Gemeinsame Mobilität wird auch immer wichtiger. Zurzeit teilen wir uns zum Beispiel zwei Lastenräder und zwei Isarcards.

»Alleine beim Bau des Hauses durften wir total viel mitreden.«

Wie kompliziert sind Absprachen? Bei uns läuft sehr viel online. Es gibt zum Beispiel eine Plattform für das Buchen von Gemeinschaftseigentum wie das Gästeappartment, das sich im Haus befindet. Auf einer Kommunikationsplattform kann man dann schreiben, wenn man ein Babybett ausleihen möchte oder etwas beim Einkaufen vergessen hat. Ich bin einmal gestürzt, konnte nicht laufen, es war Wochenende. Zehn Minuten später hat mir jemand Krücken gebracht.

Ist es nicht auch manchmal anstrengend? Jeder hat ja seinen Rückzugsort und man muss nicht überall mitmischen. Natürlich gibt es Leute, die sich mehr engagieren und andere weniger – wie überall.

Wie oft müssen Sie irgendwas mitentscheiden? Ich würde sagen: Ich darf mitentscheiden. Alleine beim Bau des Hauses durften wir total viel mitreden. Wir sind eine junge Genossenschaft, in der noch sehr viel gemeinsam beschlossen wird. Wir haben einmal im Monat ein Bewohnertreffen für die wichtigen Entscheidungen. Aber ich bespreche zusätzlich bestimmt ein bis zweimal die Woche etwas, was die Gemeinschaft angeht. Es gibt verschiedene Arbeitsgruppen, in denen man sich engagieren kann. Aber wir haben bei uns keine Pflichtzeiten – es geschieht alles freiwillig.

Haben sich Ihre Vorstellungen von einem anderen Wohnkonzept erfüllt? Auf jeden Fall. Ich möchte es genau so haben und würde es immer wieder so machen. Abgesehen davon, dass mir sonnenklar ist: Auf dem freien Wohnungsmarkt hätte ich in München keine Chance auf eine bezahlbare Wohnung gehabt.


Die Kooperative Großstadt

Seit 2015 gibt es in München die Genossenschaft »Kooperative Großstadt eG« (Koogro). Das Haus »San Riemo« mit 28 Wohnungen ist das erste Bauprojekt, das die Genossenschaft realisieren konnte. Im Dezember 2022 wurden die ersten Wohnungen im Projekt »Freihampton« in Freiham fertig: 45 Wohnungen hat die Genossenschaft dort gebaut. In Haidhausen entsteht gerade ein inklusives Gemeinschaftswohnhaus. Zusammen mit den Genossenschaften Progeno eG und Stadtwerkschaft eG hat die Koogro außerdem den Zuschlag für ein Grundstück in Neufreimann bekommen. Insgesamt 200 Wohnungen, 100 von der Koogro, sollen dort geplant und realisiert werden. Doch auch für die Koogro werden die Bedingungen derzeit immer schwieriger.

Weitere Infos: kooperative-grossstadt.de

Text: Tina Angerer
Fotos: Astrid Schmidhuber, Petter Krag

 
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