Barrieren runter
Haakon Nogge ist seit seiner Geburt querschnittgelähmt. In seiner Wohnung braucht er Hilfe – dennoch führt der 52-Jährige ein sehr selbstbestimmtes Leben.
Herr Nogge, wie wohnen Sie?
Ich wohne in Berg am Laim in einer ebenerdigen Wohnung in einer WG mit zwei weiteren nicht behinderten Leuten. Wir haben zu dritt 97 Quadratmeter, ich bewohne ein großes Zimmer. Die beiden anderen sind Mieter*innen, die Wohnung selbst gehört meinen Eltern. Die beiden zahlen etwa ein Drittel weniger Miete dafür, dass sie mir hier unter anderem im Haushalt helfen.
Das heißt, das ist die Wohnung Ihrer Jugend?
Ja, ich habe in dieser Wohnung mit meinen Eltern und meinem Bruder gewohnt. Schon damals haben sie darauf geachtet, dass die Wohnung gut zugänglich ist, deswegen sind die Türen etwas breiter.
Und irgendwann sind nicht Sie, sondern Ihre Eltern ausgezogen?
Zuerst bin ich ausgezogen, so mit Anfang 20. In eine Mietwohnung in Haidhausen, mit Freunden zusammen.
Wie barrierefrei war diese Mietwohnung?
Sie war im Erdgeschoss, ansonsten war da nichts gemacht. Die Toilette war so eng, dass ich mit dem Rollstuhl gar nicht reinfahren konnte, das war mühsam. Es gab eine ganz normale Badewanne, das war eine Kletteraktion, da überhaupt reinzukommen. Uns wurde dann irgendwann vom Vermieter gekündigt. Die Mietsituation in München war ja schon damals schwierig, und da lag es nahe, dass ich zurück in die Wohnung meiner Eltern gehe. Die zogen damals wegen des Jobs meines Vaters nach Wien. Seitdem wohne ich hier mit der WG – seit mehr als 20 Jahren.
Ist die Wohnung noch genau so wie damals?
Nein, als meine Eltern weggezogen sind, haben wir umgebaut. Wir haben mithilfe des Vereins Stadtteilarbeit Zuschüsse beantragt, und eine Architektin hat das dann optimiert.
Haakon über den Wohnungsumbau, die Suche nach den richtigen Mitbewohner*innen und seine Verbesserungsvorschläge an die MVG
Was wurde konkret gemacht?
In der Küche habe ich unterfahrbare Arbeitsflächen. Im Bad haben wir die Wanne raus- und eine bodengleiche Sitzdusche reingebaut, mit einer klappbaren Sitzgelegenheit. Zurzeit kann ich mich noch auf den Boden der Dusche setzen und mich dort duschen. Aber wir haben da auch an die Zukunft gedacht, und deswegen habe ich später die Möglichkeit, einen Sitz auszuklappen und direkt vom Rollstuhl aus auf diesen Sitz zu wechseln.
Was ist mit Türschwellen?
Eine normale Türschwelle ist für mich kein Problem, weil ich kräftig und beweglich genug bin. Ich kann natürlich nur von mir reden, andere Menschen mit Behinderung haben andere Einschränkungen. Bei der Terrassentür wird es für mich schon anstrengender. Da benutze ich dann eine mobile Rampe, die steht hier um die Ecke, und ich kann sie selbst schleppen. Leider habe ich in der Coronazeit Muskulatur eingebüßt, weil ich so wenig unterwegs war. Deswegen trainiere ich inzwischen gezielt, um das wieder aufzubauen, denn das bedeutet für mich mehr Mobilität. Ich kann zurzeit zum Beispiel nicht mehr alleine Rolltreppe fahren, weil ich zu wenig Kraft habe, mich da sicher zu halten.
Wie haben Sie Ihre Mitbewohner*innen gefunden?
Per Inserat. Es sind oft Studierende, die sich bewerben, und die ziehen dann irgendwann auch wieder aus. Natürlich schauen wir, ob man sich versteht, wie bei jeder Wohngemeinschaft. Aber es ist ganz klar vorrangig eine Zweckgemeinschaft. Wenn ich inseriere, suche ich keine Freunde, sondern Leute, die Lust haben, sich auf diesen Deal einzulassen. Es ist mir wichtig, dass ich mich auf die Absprachen verlassen kann, weil ich darauf angewiesen bin. Und ich möchte natürlich auch, dass sich die anderen hier wohlfühlen.
Wobei brauchen Sie im Alltag Hilfe?
Ich bin relativ selbstständig, das heißt, es muss nicht immer jemand hier sein. Ich brauche zum Beispiel jemanden zum Böden saugen und wischen oder zum Bett frisch beziehen. Ansonsten kann ich mein Zimmer selbst sauber halten und mit unserer Waschmaschine auch selbst waschen. Ich komme aber nicht an alle Schränke ran. Wenn ich einen Ordner von ganz oben brauche oder einen bestimmten Topf, den ich selten benutze, dann benötige ich Hilfe. Ich versuche bei absehbaren Sachen so früh wie möglich Bescheid zu sagen, damit sich meine Mitbewohner drauf einstellen können. Wenn etwa Freunde mich besuchen kommen, wissen meine Mitbewohner, dass vorher das Zimmer sauber gemacht werden muss.
„Viele Menschen haben offenbar eine völlig falsche Vorstellung von dem, was Rollstuhlfahrer wie ich können“
Welche Barrieren begegnen Ihnen außerhalb der Wohnung?
Die Lage der Wohnung ist ideal. Es gibt ganz in der Nähe sehr gute Einkaufsmöglichkeiten, die barrierefrei sind. Ich habe kein Auto, das heißt, ich fahre öffentlich. Ich habe U-Bahn, Bushaltestelle und S-Bahn in der Nähe, auch eine Trambahn ist gleich da. Die Tram hat ja inzwischen auch eine Hebebühne – das klappt gut, wenn sie denn funktioniert. München ist verglichen mit Berlin recht gut aufgestellt, was Barrierefreiheit angeht – aber natürlich komme ich auch hier oft an meine Grenzen. Wenn Lifte nicht gehen, wenn in der Tram die Hebebühne kaputt ist. Inzwischen kann man aber immerhin online vorher abfragen, ob die Lifte, die man etwa beim Umsteigen braucht, gehen oder nicht.
Was müsste sich Ihrer Meinung nach verbessern?
Für mich dauert es natürlich immer zu lange, bis ein kaputter Lift repariert ist. Zum Beispiel habe ich mich bei der MVG öfter beschwert wegen der kaputten Hebebühnen in der Tram. Aber wenn nur die Hebebühne kaputt ist, wird offenbar keine Tram aus dem Verkehr gezogen und in die Werkstatt geschickt.
Was würden Sie sich im Umgang mit Behinderten wünschen? Darf ich Sie überhaupt behindert nennen, oder fühlen Sie sich da abgewertet?
Für mich persönlich ist „behindert“ ein ganz wertfreier Ausdruck, der den Zustand beschreibt. Ich weiß, dass andere das anders sehen, aber ich halte nichts davon, sich an Begriffen abzuarbeiten, das lenkt nur ab von den tatsächlichen Problemen, die Menschen mit Behinderung haben. Und ich denke, es gibt immer noch viele Barrieren in den Köpfen der Menschen.
Zum Beispiel?
Ich mache oft die Erfahrung, dass Leute unsicher sind, wie sie sich mir gegenüber verhalten sollen. Zum Beispiel fahre ich langsam eine Anhöhe rauf und jemand kommt einfach von hinten und schiebt mich hoch. Klar wollen diese Leute nur helfen, aber ich möchte vorher angesprochen werden: „Kann ich Ihnen helfen?“ Oder ich bin zum Beispiel beim Einkaufen, und regelmäßig passiert es dann, dass jemand kommt und sagt: „Ich finde das ganz toll, dass Sie das machen.“ Viele Menschen haben offenbar eine völlig falsche Vorstellung von dem, was Rollstuhlfahrer wie ich können. Ein Stück weit verstehe ich das: Man sieht ja nicht, ob ich abgesehen von der sichtbaren Behinderung noch andere Einschränkungen habe. Menschen mit Behinderung sind nach wie vor zu wenig in der Öffentlichkeit sichtbar. Trotzdem würde ich mir wünschen, dass die Leute mich ganz normal behandeln. Einfach wie einen Menschen.
Behindertengerecht umbauen
Wer seine Mietwohnung barrierefrei machen will, zum Beispiel ein behindertengerechtes Bad einbauen lassen möchte, muss das Einverständnis des Vermieters einholen. Der Vermieter oder die Vermieterin ist allerdings verpflichtet, die Genehmigung zu erteilen. Allerdings können Vermieter*innen fordern, dass das Bad bei Auszug zurückgebaut wird. Außer dem müssen Mieter*innen, wenn gefordert, eine finanzielle Sicherheit für einen solchen Rückbau nach weisen. Für Wohnungsanpassungen gibt es Förder mittel aus verschiedenen Töpfen auf städtischer, auf Landes und auf Bundesebene. Betroffene können sich zum Beispiel beim Kompetenzzentrum Barriere freies Wohnen des Vereins Stadtteilarbeit beraten lassen (verein-stadtteilarbeit.de, 0893570430) oder beim Beratungstelefon „Leben mit Behinderung“ des VdK (0892117113). Umfangreiche Infos und Beratungsmöglichkeiten bietet der Behinderten beauftragte der Stadt München unter bb-m.info. Die Stadt veranstaltet außerdem am 18. Oktober 2022 in der alten Kongresshalle den Münchner Inklusionstag. Infos unter muenchen-wird-inklusiv.de.
Text: Tina Angerer
Fotos: Lukas Barth-Tuttas