Nie mehr allein

Elke (68) wohnt in einer Münchner Wohngruppe für Frauen im Alter. Dort genießt sie die Gemeinschaft und hat doch ihr eigenes Apartment.

Eine ältere Frau sitzt am Küchentisch und hält ein Glas

Als Veronika die Mandarinentorte hereinträgt, ertönen viele „Aaahs“ und „Oohs“ und ein „Veronika, der Lenz ist da!“ Es ist Gemeinschaftszeit, alle haben sich ein bisschen zurechtgemacht für den Kaffeeklatsch. „Wir treffen uns mindestens einmal in der Woche hier in dem Gemeinschaftsraum“, erzählt Elke. Sie ist 68 Jahre alt und keine Frau, bei der man an das Thema „Wohnen im Alter“ denkt. Sie ist fit, liebt es, tanzen zu gehen, sie kann alles selbst machen – trotzdem hat sie sich entschieden, hier in der Wohngruppe des Vereins „Nachbarschaftlich leben für Frauen im Alter“ einzuziehen. Die Betriebswirtin, die nach ihrer Scheidung im Jahr 2000 nach München gekommen ist, hat zuletzt mit ihrer Freundin in einer 120-Quadratmeter-Wohnung in Untermenzing gewohnt. Als ihre Freundin krank wurde, hat Elke sie gepflegt. Im Januar 2021 ist sie gestorben, und für Elke begann noch einmal ein ganz neues Leben. „Ich dachte mir, was mach ich alleine mit vier Zimmern? Und die wollen ja auch geputzt werden“, erzählt sie. Eine neue Mitbewohnerin reinholen, die sie nicht kennt, das wollte sie nicht mehr. Schon als die Freundin noch lebte, trat sie dem Münchner Verein „Nachbarschaftlich leben für Frauen im Alter“ bei, engagierte sich dort, besuchte Veranstaltungen und lernte neue Frauen in einem ähnlichen Lebensabschnitt kennen. „Nachdem meine Freundin dann gestorben war, dachte ich mir: Jetzt machst du noch mal einen Schritt und fängst von vorne an.“

Diesen Schritt haben alle Frauen hier gewagt. Die kinderlose Grafikdesignerin Cäcilie , die immer freiberuflich gearbeitet hat und nicht viel Rente bekommt, genauso wie Veronika, die verwitwet ist und Großmutter von vier Enkelkindern. „In den Wohngruppen sind lauter Frauen, die sich noch einmal im Leben auf etwas ganz Neues einlassen“, sagt Psychologin Angela Lang. Sie begleitet die Frauen vor allem am Anfang nach der Gründung einer Wohngruppe und leitet Gespräche, wenn es Konflikte gibt. Und die gibt es natürlich auch, jede Frau bringt ein gutes Stück Leben und Erfahrungen mit.

Privatheit und Gemeinschaft, das macht das Zusammenleben aus.

Den Verein gibt es seit über 30 Jahren, inzwischen wurden sechs Wohngruppen gegründet. Die Wohnungen sind alle gefördert, das heißt, einziehen kann nur, wer einen Förderberechtigungschein hat, zum Beispiel für eine München-Modell-Wohnung. Das Prinzip geht so: Jede Frau hat ein eigenes Apartment, aber es gibt auch einen großen Gemeinschaftsraum. Privatheit und gleichzeitig Gemeinschaft, das macht das Zusammenleben aus. Die 70-jährige Ruth erzählt, dass sie als junge Frau mal in einer WG gewohnt hat mit zwei anderen Frauen. „Wir hatten immer Stress, konnten nicht gut miteinander reden. So was würde ich heute nicht mehr wollen. In unserem Alter hat doch jede ihre Eigenheiten und auch Vorstellungen von Hygiene und vom Alltag.“ Auch Elke sagt: „Bei mir steht niemand unangemeldet vor der Tür.“

Vier ältere Frauen sitzen am Kaffeetisch, eine Frau steht und. hat Donuts in der Hand

Die Apartments haben rund 40 Quadratmeter. Sie sind nicht barrierefrei, aber altersgerecht, das heißt zum Beispiel, dass die Dusche keine Schwelle hat. Acht Frauen der Wohngruppe wohnen seit 2019 in dem großen Bau der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GEWOFAG in der Arnulfstraße. Elke ist Nachrückerin, sie kam 2021 dazu, weil eine Frau in ein Altenheim umzog. Schon beim Einzug packten die anderen Frauen mit an. Fast alle Möbel hatte Elke schon vorher, beim Umzug aus der großen Wohnung musste sie sich von vielen Dingen trennen. „Ein bisschen hat mir das Herz da schon geblutet.“

Nach dem Einzug brach sich Elke den Mittelfußknochen: «Sofort waren alle bereit: Was können wir dir besorgen, was brauchst du.»

Ihren Esstisch findet sie heute ein bisschen zu groß; wenn sie alleine isst, sitzt sie lieber am kleinen Bistrotisch in der Küche. „Und ich kann ja jederzeit auch Leute in den Gemeinschaftsraum einladen.“ Dort wurde auch ihr Einstand gefeiert, man trifft sich an den Geburtstagen der Frauen. Elke genießt es auch, dass sie nun zentraler wohnt, mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut angebunden ist und ihre Wege kurz sind. „Auf Dauer in Untermenzing, ich weiß nicht, wie das wäre, wenn man mal immobiler wird.“ Wie wertvoll die Gemeinschaft ist, hat Elke kurz nach ihrem Einzug festgestellt. Sie rutschte in der Wohnung aus und brach sich den Mittelfußknochen an. „Sofort waren alle bereit: Was brauchst du, was können wir dir besorgen, du kannst jederzeit anrufen.“ In der WhatsApp-Gruppe tauschen sich die Frauen täglich aus, mal kocht die eine für die andere mit. Die Wohngruppe hat auch – damals noch ohne Elke – gemeinsam die Pandemiezeit durchgestanden. „Anfangs haben wir uns nur draußen zum Spazierengehen getroffen, später dann mehr“, erzählt Cäcilie. „Ich hatte nie das Gefühl, ganz alleine zu sein, so wie man es von vielen anderen älteren Menschen gehört hat.“

Ein Wohnzimmer mit Glastisch, silbernen Stühlen, Garderobe, Computertisch

Veronika erzählt, dass ihre beiden erwachsenen Kinder sehr froh sind, dass die Mutter in der Gemeinschaft ist. „Sie wissen, dass mir bei Kleinigkeiten geholfen wird und sie auch sofort verständigt würden, wenn irgendwas passiert.“

Inzwischen unternehmen die Frauen wieder viel miteinander, gehen ins Konzert, einkaufen. Manche Veranstaltungen organisiert auch der Verein, und man trifft dort Frauen aus anderen Wohngruppen. So wie kürzlich bei der Tanzveranstaltung, gemeinsam mit einem Radiosender: 80er-Party. Elke war begeistert. „Mal wieder so richtig tanzen, das war klasse.“ Ruth dagegen winkt ab. „Das war doch viel zu laut.“ Da mischt sich Veronika, die Älteste der Gruppe, ein. „Das soll zu laut gewesen sein? Da habt ihr aber nicht viel Disco-Erfahrung.“

Text: Tina Angerer
Fotos: Astrid Schmidhuber

 
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