Zuhause im Glück

Die Erhaltungssatzung soll Menschen in München vor Luxussanierungen und Entmietungen schützen. Im Dreimühlenviertel hat das jetzt geklappt.

Können aufatmen: Eva Simon (hinten links) mit Familie und Nachbarn in ihrer Wohnung in der Ehrengutstraße 18

 

Es klingt nach Aufbruch, wenn Eva Simon von früher erzählt. Von den Tagen ihrer Familiengründung 1995, als sie mit ihrem Mann Christof in der Ehrengutstraße 18 ein günstiges Zuhause fand. 80 Quadratmeter für 680 Mark, drei Zimmer, zwei Gasöfen und ein Waschbecken im Flur.

„Machen’s halt selber“, hat die alte Vermieterin gesagt – und die Simons machten. Restaurierten den Parkettboden, entfernten den Schimmel an den Wänden, bauten ein Bad ein und Heizkörper, schufen ein Zuhause für sich und ihre beiden Kinder. „Das war eine Komplettsanierung“, sagt Christof Simon heute, „aber der Preis war unschlagbar.“

Die Simons sind Meister ihres Fachs – er als Schreiner, sie als Schneiderin –, doch für Handwerker wie sie ist das Leben in München kaum noch bezahlbar. Glück für den, der ein sicheres Zuhause hat. Eines wie in der Ehrengutstraße 18 im Münchner Dreimühlenviertel.

21 Mietparteien leben in dem Altbau, wie es früher viele in München gab: ein einfaches Haus mit Vorder- und Rückgebäude, im Hinterhof kreiseln die Sägen einer Schreinerei, in den Stockwerken darüber wohnen Rentner neben jungen Familien, Arbeiter neben Akademikern. Die jüngste Bewohnerin ist vor ein paar Wochen zur Welt gekommen, der älteste Mieter ist 91 Jahre alt.

Schock für die Mieter: Das Haus soll an einen Investor verkauft werden

Die meisten von ihnen hätten es schwer, in München etwas Neues zu finden. Deshalb war es ein Schock, als im August die Information ins Haus flatterte, dass der Altbau mit der vanillegelben Fassade an einen Investor verkauft werden solle – zum zweiten Mal seit dem Jahrtausendwechsel, der aktuelle Besitzer hatte das Gebäude erst 2000 erworben. Seither waren die Mieten schon saftig erhöht worden.

Nun war die Angst da vor Luxussanierung und weiteren Mieterhöhungen. Vor allem Christoph Legner mit seiner Schreinerei sah sich in seiner Existenz bedroht: „Es geht um meinen Lebensunterhalt. Ich werde in München nichts Vergleichbares finden“, sagt er. Als Eva Simon vom Verkauf ihres Zuhauses las, wusste sie: „Wenn wir jetzt nicht mobil machen, verschlafen wir etwas ganz Wichtiges.“ Und sie wusste auch, was zu tun ist: Der Stadtrat musste um Hilfe angerufen werden.

Rettung naht: Die Stadt München hat ein Vorkaufsrecht

Denn die Ehrengutstraße liegt in einem sogenannten Erhaltungssatzungsgebiet. 23 davon gibt es in München. Bei Immobilienwechseln in diesen Gebieten hat die Landeshauptstadt ein Vorkaufsrecht. Eva Simon war klar: „Wir können erst wieder ruhig schlafen, wenn die Stadt unser Vermieter wird.“

Binnen kürzester Zeit gründete sie eine WhatsApp-Gruppe und trommelte die Nachbarn zusammen. Sie wusste, dass nur eine Frist von 60 Tagen blieb, ehe das Vorkaufsrecht endete. Weil die Verkaufsankündigung in die Ferienzeit fiel, hatten einige Bewohner noch gar nichts mitbekommen, auch bei der Stadt waren viele im Urlaub.

Doch die Ehrengutstraße machte mobil. Die Bewohner schrieben Briefe an Stadtratsmitglieder, sprachen beim Bezirksausschuss vor, baten um Unterstützung. Anfang Oktober dann sollte der Stadtrat entscheiden – aber kurzfristig wurde das Haus wieder von der Agenda genommen. Bis zur nächsten Sitzung wäre es zu spät gewesen.

OB Dieter Reiter kümmert sich

Doch dann leitete Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) das Schnellverfahren ein. Mitte Oktober unterschrieb er einen Dringlichkeitsantrag zum Kauf des Hauses. Für ihn sei das ein politisches Zeichen, sagte er: „Wenn wir als Stadt die Möglichkeit haben, Mieter zu schützen, bezahlbare Wohnungen zu erhalten und der Gentrifizierung entgegenzuwirken, werden wir nach Möglichkeit vom Vorkaufsrecht Gebrauch machen.“

Als die Entscheidung des Oberbürgermeisters die Runde machte, sind die Bewohner der Ehrengutstraße erst einmal miteinander essen gegangen. Über die WhatsApp-Gruppe tauschen sie sich bis heute aus. Aus der Notgemeinschaft ist eine echte Hausgemeinschaft geworden. „Man sagt nicht mehr nur ,Hallo‘, sondern wechselt ein paar Worte“, erzählt Eva Simon. „Wir sind dadurch näher zusammengerückt.“

Andrea Mertes

Foto: Andreas Gebert

 
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