Angst ums Zuhause 

24 Parteien in Mietshäusern in Schwabing hoffen, durch das Vorkaufsrecht doch noch gerettet zu werden – vergeblich, weil es ein Schlupfloch gibt. 

 

Vorkaufsrecht, Erbbaurecht, Erbgrund: Bis es um die Zukunft seiner kleinen Familie ging, kannte sich Moritz Burgkardt (37) mit diesen sperrigen Themen nicht aus. Doch seit September 2020 hat sich der Bauingenieur in diese komplexen Themen einarbeiten müssen. Und mit ihm zusammen 23 andere Parteien, die in Schwabing in der Krumbacherstraße Ecke Hiltenspergerstraße leben. Da hatten die Mieter*innen über einen Aushang in den Treppenhäusern erfahren, dass ihre Häuser verkauft werden.  

Die Krumbacherstraße 9a und die Hiltenspergerstraße 29 sind zwei Adressen eines Eckhauses, es gibt einen gemeinsamen Hinterhof. Hier leben 24 Parteien mitten in der Stadt, wo sich zwischen Josephsplatz und Hohenzollernplatz die Jugendstilhäuser reihen. Die Lücken, die durch den Zweiten Weltkrieg entstanden, wurden zweckmäßig zwischen den 50er- und 70er-Jahren geschlossen, und die Münchner Mittelschicht zog ein. Zum Fototermin an einem Freitagmittag wird kurz entschlossen an jene Wohnungstüren geklopft, wo die Menschen nicht in der Arbeit oder im Urlaub sind – wer wann da ist, das weiß man voneinander und ebenso, dass der Kleine von Moritz und Julia Jonathan heißt. „Auch bevor die zwei Häuser verkauft wurden, haben wir uns hier gekannt, weil viele schon lange hier wohnen. Aber durch den Verkauf hat sich der Kontakt intensiviert. Wir planen gerade ein Hoffest im Sommer“, sagt Burgkardt.  

„Wir haben ein gutes Einkommen und müssen damit rechnen, dass Wohnen nach Luxussanierungen nicht mehr bezahlbar ist“ (Moritz Burgkardt) 

Moritz Burgkardt und seine Freundin Julia Strohwald (40) leben seit acht Jahren zusammen in der Krumbacherstraße. Sie ist Soziologin, er Bauingenieur. „Wir haben ein gutes Einkommen und müssen jetzt damit rechnen, dass Wohnen hier nach Luxussanierungen und den daraus folgenden Mieterhöhungen nicht mehr bezahlbar für uns ist“, sagt Moritz Burgkardt. Dass viele Menschen sich München nicht mehr leisten können und wegziehen, dass in systemrelevanten Berufen Personal fehlt, weil die Mieten zu teuer sind, ist seit Jahrzehnten bekannt. Seit einigen Jahren betrifft das Problem der sich immer weiter nach oben schraubenden Preisspirale aber auch Einkommensstärkere. Als die Mieter*innen im September vor zwei Jahren erfahren haben, dass ihr Zuhause verkauft wird, lagen ihre Häuser noch nicht im Erhaltungssatzungsgebiet. Die Stadt evaluiert diese regelmäßig und seit dem 31.12.2020 steht das Gebiet unter Milieuschutz, um die Zusammensetzung und Eigenart des Viertels zu bewahren. Das bedeutet auch, dass die Stadt ein Vorkaufsrecht hat, wenn ein Haus verkauft wird.  

Am 9. November 2021, kurz vor der Geburt ihres Sohnes Jonathan, kippt das Bundesverwaltungsgericht das kommunale Vorkaufsrecht. Da wissen die jungen Eltern noch nicht, dass das Vorkaufsrecht im Fall ihrer Mieter*innengemeinschaft nicht greift. Aber weil sie bezahlbaren Wohnraum als das soziale Problem unserer Zeit sehen, kämpfen sie auch heute weiter. Sie engagieren sich in Mieter*innen-Bündnissen wie #ausspekuliert und dem bundesweiten Bündnis „Mietenstopp“, geben zahlreiche Interviews, schreiben Politiker*innen und sind bei Podiumsdiskussionen dabei.  

„Das Problem, dass Menschen aus ihrer Wohnung verdrängt werden und sich nur noch geldige Leute das Leben in der Stadt leisten können, betrifft ja nicht nur unser Viertel, sondern die ganze Stadt und mittlerweile auch das Umland“, sagt Burgkardt, der auch bei der Podiumsdiskussion zum kommunalen Vorkaufsrecht dabei war. Unter der klaren Forderung „Wir wollen das Vorkaufsrecht zurück!“ haben sich neben dem Mieterverein München und der Initiative #ausspekuliert 70 sozialpolitisch aktive Organisationen, dem Seniorenbeirat über den DGB München, verschiedenen Münchner Mieter*innen-Gemeinschaften bis hin zu den Münchner Parteien SPD, Grü-ne und Linke zusammengeschlossen.  

Im Mai hatte das Bündnis zu einer Podiumsdiskussion mit Bundestagspolitiker*innen eingeladen, zu der mehr als 100 Menschen gekommen waren. München braucht dringend ein rechtssicheres Vorkaufsrecht, da waren sich SPD, Grüne, Linke und sogar die CSU bei der Podiumsdiskussion einig – „die FDP muss sofort umdenken und den Ernst der Lage erkennen“, sagte Simone Burger, stellvertretende Vorsitzende des Mietervereins in Bezug auf die Blockadehaltung der FDP.  

„Der Bundestag muss hier so schnell wie möglich wieder ein rechtssicheres Vorkaufsrecht schaffen“ (Simone Burger/Mieterverein) 

Die Bundesregierung müsse das Baugesetzbuch ändern, damit Städte wie München das Vorkaufsrecht wieder ausüben könnten. Die Mietervereine von München, Hamburg und Berlin haben im Anschluss an die Diskussion einen offenen Brief und ein Eckpunktepapier an Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) geschickt. In dem Papier machen die Vereine einen konkreten Vorschlag, wie das Vorkaufsrecht aussehen könnte. Etwa sollen Kommunen für die Immobilien und Grundstücke keine spekulativ hochgetriebenen Preise mehr bezahlen müssen.  

München hat in den vergangenen Jahren etwa 500 Millionen Euro für das Vorkaufsrecht ausgegeben, mit dem eine Kommune in einen geschlossenen Kaufvertrag zwischen zwei privaten Parteien eintreten kann. „München braucht dringend wieder die Möglichkeit, das Vorkaufsrecht in Erhaltungssatzungsgebieten auszuüben und somit Mieterinnen und Mieter vor der Verdrängung aus ihrem Zuhause zu schützen“, betont Simone Burger. „Der Bundestag muss hier so schnell wie möglich wieder ein rechtssicheres Vorkaufsrecht schaffen.“  

Im Fall der beiden Häuser in Schwabing-West würde auch das alte Vorkaufsrecht nicht greifen. Weil hier eines von vielen Schlupflöchern einen Aufkauf der Häuser durch die Stadt verhindert. Die Häuser und das Grundstück gehörten einer Gemeinschaft von Erb*innen – ein Teil der Erb*innen hatte das Grundstück und ein Teil das Haus. Zuerst wurde das Grundstück verkauft, also der Erbgrund, auf dem das Erbbaurecht mit den Gebäuden lastet. Dieses Erbbaurecht wurde aber nicht verkauft. Das Ende des Erbbaurechts ist erst im Jahr 2100, das heißt, die Stadt hätte auch mit dem Kauf des Erbgrunds keine Möglichkeit, die Nutzung des Gebäudes zu bestimmen und die Ziele der Erhaltungssatzung – den Schutz eines durchmischten Milieus – durchzusetzen. „Die Schlupflöcher, die das alte Vorkaufsrecht geboten hat, sind bekannt und müssen in einem neuen Vorkaufsrecht geschlossen werden“, sagt Simone Burger.  

Natürlich hat das Gebäude samt Erbpacht derselbe Investor gekauft, der nun durch Luxussanierungen die Miete in die Höhe treiben kann. Wenn Julia Strohwald und Moritz Burgkardt aus ihrem Küchenfenster schauen, haben sie direkt vor Augen, was das bedeutet: Julia Strohwald hat im Haus gegenüber drei Jahre lang in einer Wohngemeinschaft gelebt, bevor sie vor elf Jahren in die jetzige Wohnung gezogen ist. Nachdem die Dawonia das Gebäude gekauft hat, sind nach und nach alle Mieter*innen ausgezogen. Zwischen Gerüsten, Baulärm und abgeklebten Fenstern harrt nur noch ein einziger Mieter aus.  

Weil sie das Leben in einer Baustelle ihrem kleinen Sohn nicht zumuten möchten, werden Julia Strohwald und Moritz Burgkardt die Krumbacherstraße 9a und ihre herzliche Mieter*innen-Gemeinschaft irgendwann verlassen müssen. Sie rechnen nicht damit, eine bezahlbare Wohnung im Viertel zu finden.  

Am Mittwoch, den 13. Juli um 17 Uhr, organisiert der Mieterverein München mit vielen anderen eine Bürger*innen-Sprechstunde vor der FDP-Zentrale in der Goethestraße 17 rund um das Vorkaufsrecht.  

Text: Jasmin Menrad
Fotos: Annette Sandner 

 

 
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