Tatort Mietmarkt

Der neue Krimi von Autor Wolfgang Schorlau beschäftigt sich mit dem Kampf ums Recht auf Wohnen. Uns hat er erzählt, warum Wohnraum aus seiner Sicht zurück in kommunale Hand muss.

Vor mehr als 15 Jahren hat der Autor Wolfgang Schorlau den Stuttgarter Ermittler Georg Dengler erfunden und schickt den Mann seither los, um im Milieu von Rassismus, Politik-Lobbyismus und Finanzkapitalismus zu ermitteln. Denglers zehnter Fall trägt den Titel „Kreuzberg Blues“, ist 2020 erschienen und führt hinein in den gegenwärtigen Kampf um das Recht auf Wohnen.

Im Geleitwort zum Buch schreibt Wolfgang Schorlau, er staune immer noch, wie in Deutschland innerhalb weniger Jahre und nahezu aus dem Nichts riesige, teils DAX-notierte Konzerne aufgestiegen seien, die plötzlich Zehntausende Wohnungen besitzen. „Die heutigen Immobilienkonzerne“, schreibt Schorlau, „seien es Vonovia, Deutsche Wohnen oder Patrizia, konnten nur entstehen, weil ihnen öffentliches Eigentum – man muss es so sagen – nahezu geschenkt wurde.“ Wir haben den Autor angerufen, um mehr über seine Recherchen zum Tatort Mietmarkt zu erfahren.

Herr Schorlau, wie wohnen Sie selbst: zur Miete oder im Eigentum?

Ich wohne zur Miete, das wird mein Leben lang so sein. Meine Vermieter sind keine Immobilienhaie, wir haben ein gutes Verhältnis. Allerdings wird das Stuttgarter Viertel, in dem ich lebe, gerade gentrifiziert. Das sehe ich mit Sorge. Rechts und links von mir explodieren die Mietkosten. Ich selbst zahle einen Preis, der in Ordnung ist, und hoffe, dass das so bleibt.

Ihr jüngster Kriminalroman beschäftigt sich mit dem Recht auf Wohnen, Ihre Figur Georg Dengler ermittelt diesmal auf dem Berliner Mietmarkt. Ich habe gelesen, dass Sie für die Recherche für einige Zeit selbst nach Berlin gezogen sind: Stimmt das?

Nein, das stimmt so nicht. Für einige Wochen habe ich in Berlin in einem Hotel gelebt und in dieser Zeit mit dem Regisseur und Drehbuchautor Lars Kraume das Material von „Kreuzberg Blues“ fürs Fernsehen aufbereitet. Gemeinsam haben wir aus dem Stoff ein Treatment entwickelt, das ich dann für den Roman weiterverwendet habe und Lars Kraume für das Drehbuch zum nächsten Dengler-Film.

„In Neukölln hatte ich den Eindruck, ich würde durch einen Stadtteil kurz vor dem Bürgerkrieg laufen“

Haben Sie vor Ort auch recherchiert?

Ja klar. Für die Recherche habe ich viele Leute aus der Mieterbewegung getroffen, die mich durch Kreuzberg geführt haben und durch andere Brennpunkte des Mieterkampfs. In Neukölln hatte ich den Eindruck, ich würde durch einen Stadtteil kurz vor dem Bürgerkrieg laufen. Überall waren Aufrufe zu lesen im Stil von: „Redet mit euren Nachbarn, bildet Banden.“ Auf Plakaten und Aushängen wurde erklärt, was zu tun sei, wenn die nächste Mieterhöhung kommt, wo die nächste Beratungsstelle ist. Die Stimmung war angespannt.

War das der Grund, weshalb Sie Ihren Roman in Berlin angesiedelt haben? Es wäre ja auch München denkbar gewesen, als teuerster Mietmarkt Deutschlands.

In Berlin wird derzeit stellvertretend für ganz Deutschland der Kampf fürs Recht auf Wohnen ausgetragen. Dort ist der Widerstand am besten organisiert. Er hat eine lange Tradition, die Mieterbewegung ist gut organisiert und mutig, sie agiert politisch klug.

Dennoch wurde der Berliner Mietendeckel gekippt.

Das ist eine große Enttäuschung. Ich fand das Urteil ziemlich daneben. Die Folge wird sein, dass sich das Thema im Bundestagswahlkampf auf das gesamte Bundesgebiet ausweitet. Besser wäre gewesen, wenn sich in Berlin gezeigt hätte, dass Politik auf Landesebene die Verhältnisse ändern kann.

„Der Finanzkapitalismus hat sich des Mietmarkts bemächtigt und die persönliche Beziehung zwischen Vermieter und Mieter zerstört“

Mit Ihren Dengler-Romanen greifen Sie Themen der Zeit auf. Was macht die Immobilienbranche zu einem guten Handlungsort für einen Krimi?

Für einen Kriminalroman ist die Immobilienbranche geradezu fantastisch geeignet. Der Finanzkapitalismus hat sich des Mietmarkts bemächtigt und die persönliche Beziehung zwischen Vermieter und Mieter zerstört. Das ist eine neue Entwicklung.

Über den Einfluss des Finanzkapitals auf den Mietmarkt wurde in den vergangenen Jahren viel geschrieben. Hat das Ihre Recherche erleichtert?

Für die Art von Büchern, wie ich sie schreibe, findet man schnell viele Fakten, das ist richtig. Doch um die inneren Strukturen eines Themas zu verstehen, muss man sich anstrengen. Dieser Punkt verblüfft mich immer wieder: Angeblich leben wir in einer Informationsgesellschaft. Doch im Grunde wissen wir nur wenig über die Dinge, die uns unmittelbar betreffen. So habe ich es beispielsweise schon damals erlebt, als ich für meinen Dengler-Roman „Fremde Wasser“ recherchiert habe, wie sich deutsche und internationale Konzerne weltweit den Zugriff auf Wasserrechte zu sichern versuchen. Und so war es auch diesmal wieder, als ich mich mit den Verflechtungen des Wohnungsmarktes beschäftigt habe. Den zugrunde liegenden Mechanismus hinter dem Finanzkapitalismus zu verstehen, das ist der blinde Fleck in unserer Gesellschaft.

„Der Mietmarkt sollte unbedingt rekommunalisiert werden“

Was sollte die Politik Ihrer Meinung nach tun, um den Finanzkapitalismus zu stoppen?

Um noch kurz beim Beispiel Wasserversorgung zu bleiben: Vor Jahren gab es eine längere Debatte über die Privatisierung der Trinkwasserversorgung. Heute gibt es über fast alle Parteigrenzen hinweg darüber das grundlegende Einvernehmen, dass die Bereitstellung von Wasser eine öffentliche Aufgabe ist. Dahin müssen wir auch beim Wohnraum kommen. Ich finde es deshalb ziemlich schlau, dass die Berliner das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ in die Wege geleitet haben. Wenn das erfolgreich ist, dann müssten die Immobilienkonzerne Wohnraum an diejenigen zurückgeben, die zuvor enteignet wurden. Und das sind die Kommunen, die Bürger. Der Mietmarkt sollte unbedingt rekommunalisiert werden. Mehr genossenschaftliches Wohneigentum wäre ebenfalls eine Lösung. Bis dahin braucht es einen Mietendeckel, um die Preise zu senken und Spekulanten den Boden zu entziehen.

Apropos Spekulant*innen: In Ihrem Roman beschreiben Sie, wie ein Immobilienhai seine Mieterinnen und Mieter mit ausgesetzten, besonders aggressiven Ratten drangsaliert. Wie nahe ist das eigentlich an der Realität?

Die Geschichte mit den Ratten basiert auf einem „Spiegel“-Artikel über aggressiv gezüchtete Ratten und ist so, wie sie da steht, eine erzählerische Überhöhung. Doch ich bekomme ständig Nachrichten oder Mails, in denen mir Mieter die Schweinereien aufzählen, die ihre Vermieter mit ihnen anstellen.

Das reicht von Ungeziefer im Haus – der „Spiegel“ berichtete vor ein paar Tagen auch von Ratten – über stillstehende Aufzüge bis hin zu Fenstern, die mitten im Winter ausgebaut werden, angeblich wegen angekündigter Bauarbeiten. Nichts davon brauchte ich zu erfinden. Das gibt es alles wirklich.

Interview: Andrea Mertes
Foto: Timo Kabel

 
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