Müssen Sie gehen?

Immer mehr Münchner bekommen eine Eigenbedarfskündigung. Der Mieterverein fordert: Um die Vertreibung zu stoppen, müssen endlich strengere Regeln für diese Art von Kündigung her

Fall 1

Seit vielen Nächten schläft Sühel S. (41) schlecht, weiß nicht, wie es weitergehen soll. Sein Vermieter hat seine Wohnung in der St.-Paul-Straße in der Nähe der Theresienwiese gekündigt: wegen Eigenbedarfs. Genauso wie dem Mitglied des DMB Mieterverein München erging es fünf von sieben Mietparteien des Mehrfamilienhauses in der Ludwigsvorstadt. Sühel S.: „Laut der Kündigungen wollen unter anderem die Tochter, der Sohn, der Neffe sowie der Vermieter selbst in die Wohnungen einziehen. Wir haben das Gefühl, dass wir aus den Wohnungen vertrieben werden sollen, weil wir sehr niedrige Mieten zahlen. Wir haben aber auch in der Vergangenheit selbst viel in die Wohnungen investiert.“

Im Vorfeld der Eigenbedarfskündigung habe der Eigentümer die Mieter überreden wollen, neue Mietverträge mit deutlich höheren Mieten zu unterschreiben, so Sühel S. Und bei einem Nicht-Unterschreiben mit Eigenbedarfskündigungen gedroht, so der Münchner. Zunächst sei ihm dann wegen eines Eigenbedarfs der Mutter des Vermieters gekündigt worden. Als die Mutter dann verstorben sei, sei eine Kündigung wegen Eigenbedarfs für den Neffen des Vermieters gefolgt.

Heike K. und Sühel S. im Eingang ihres Hauses

Eigenbedarfskündigungen sind in vielen Fällen nur vorgeschoben, um Mieter aus Wohnungen zu bekommen

Auch eine von Sühel S. Nachbarn, Kinderpflegerin Heike K. (60), soll aus ihrer Wohnung raus, in der sie seit mehr als 30 Jahren mit ihrer Familie lebt. „Das ist eine Katastrophe für mich. Wir haben selbst um die 50.000 Euro in die Wohnung gerichtet“, sagt sie. „Auf dem Mietmarkt haben wir keine Chance.“ Das Haus liegt im Erhaltungssatzungsgebiet, eine Modernisierung und anschließende Mieterhöhung ist dadurch schwer durchsetzbar. Also die Eigenbedarfskündigungen. Diese sind in vielen Fällen nur vorgeschoben, um Mieter aus Wohnungen zu bekommen, weiß Mietervereins-Geschäftsführer Volker Rastätter. „Wenn fast ein ganzes Haus wegen Eigenbedarfs verschiedenster Familienangehöriger entmietet wird, wirft das schon Fragen auf.“

Fall 2

Seit 12 Jahren lebt Gastronom Florian Falterer in seiner Wohnung in der Watzmannstraße in Giesing. Sein Sohn Quirin (11) ist dort aufgewachsen. „Das ist unsere Heimat“, sagt der 41-jährige Falterer. Doch im Mai vor einem Jahr flatterte bei dem Mietervereins-Mitglied eine Kündigung ins Haus: Eigenbedarf! Zwei weiteren Familien im Haus erging es ebenso, sie sind mittlerweile ausgezogen. In zwei Wohnungen wollen die neuen Eigentümer mit ihrem Sohn einziehen. In der dritten Wohnung soll ein Familienmitglied wohnen. „Ich verstehe nicht, dass man Wohnungen kauft, in dem Wissen, dass sie vermietet sind. Und dann den langjährigen Mietern kündigt und Existenzen zerstört. Das finde ich moralisch nicht vertretbar“, sagt Falterer. Auf dem Wohnungsmarkt sei es derzeit so gut wie unmöglich für ihn, eine neue Wohnung zu finden.

Fall 3

Ein besonders extremer Fall ist auch der unseres Mitglieds Rudolf Kluge. Er soll im Alter von 89 Jahren noch aus seiner Neuperlacher Wohnung raus: auch eine Eigenbedarfskündigung! Nach 44 Jahren zur Miete. Doch auch Kluge findet einfach keine neue Wohnung.

Das sagen wir

Im Jahr 2018 hatte der Mieterverein 880 Fälle von Eigenbedarfskündigungen. Doppelt so viele wie noch 2017. Für das laufende Jahr geht Mietervereins-Geschäftsführer Volker Rastätter von noch mal mehr Fällen aus. Seit einigen Jahren beobachtet der Mieterverein eine rasante Zunahme dieser Art von Kündigungen in der Stadt. „Die Eigenbedarfskündigung ist eine einfache Art, Mieter loszuwerden“, erklärt Rastätter. Die Vorgaben seien nicht sehr streng. So könne ein Eigentümer Eigenbedarf für einen großen Kreis anmelden – etwa für Pflegepersonal oder auch einen Neffen.

„Das muss auf die eigenen Eltern und Kinder beschränkt werden“, so Rastätter. Auch entschieden Gerichte schon, dass ein Eigenbedarf vorliegen kann, wenn die Wohnung nur für einen Luxus wie gelegentliche Opernbesuche genutzt wird. „Hier fordern wir strengere Regeln. Nur so werden wir die Situation in den Griff bekommen“, betont der Geschäftsführer des DMB Mieterverein München.

 

Text: Ramona Weise
Fotos: Philipp Gülland

 
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