900 Euro für 31 qm

Eine Münchnerin bezahlt fast 30 Euro kalt pro Quadratmeter. Sie wehrt sich. Mithilfe eines in Vergessenheit geratenen Paragrafen

Stolze 900 Euro kalt bezahlt Juliane Schneider (Name geändert) für ihre kleine 31-Quadratmeter-Wohnung im Münchner Westend. Ein Gutachten des Sozialreferats in ihrem Auftrag ergab: Eine angemessene Kaltmiete läge bei 395 bis 432 Euro im Monat. Juliane Schneider überweist monatlich mehr als doppelt so viel an ihre Vermieterin. Das Mitglied des Mietervereins ist einen Weg gegangen, der lange als aussichtslos galt: Mittels des Gutachtens der Stadt versucht Schneider, eine „Mietpreisüberhöhung“ nach Paragraf 5 Wirtschaftsstrafgesetz nachzuweisen. Das bis zum Ende durchzufechten, gilt als schwierig. Denn: Eine der Vo­raussetzungen des Paragrafen ist, dass die Vermieterin oder der Vermieter eine Zwangslage der Mieterin oder des Mieters aufgrund des geringen Angebots an Wohnungen ausgenutzt hat.

„Ich musste innerhalb von zwei Wochen eine neue Wohnung finden

Eine Zwangslage habe bei ihr vorgelegen, sagt Juliane Schneider. „Ich musste innerhalb von zwei Wochen eine neue Wohnung finden. Es gab kein besseres Angebot, also musste ich unterschreiben.“ Zuvor hatte die Münchnerin zur Untermiete gewohnt – und musste überraschend raus. Mieter*innen müssen die Zwangslage, spätestens wenn der Fall vor Gericht geht, aufwendig beweisen. Deswegen fordert die Kampagne Mietenstopp, in der sich auch unser Verein engagiert, das Ausnutzen einer Zwangslage aus der umgangssprachlich auch „Mietwucher­-Paragraf“ genannten Vorschrift zu streichen. Nur so kann der Paragraf scharf gestellt werden – und wäre für die breite Masse der Menschen in unserer Stadt anwendbar.

Nun ist der Bundestag am Zuge

Eine Mietpreisüberhöhung ist laut Gesetz gegeben, wenn die Miete mehr als 20 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegt. Dann liegt eine Ordnungswidrigkeit vor. Die Miete muss abgesenkt werden, Vermieter*innen droht ein Bußgeld von bis zu 50.000 Euro. In den vergangenen Jahren gab es verschiedene politische Vorstöße, die Voraussetzungen für den Paragrafen zu ändern. Passiert ist bisher nichts. Im Koalitionsvertrag taucht das Thema nicht auf. Aktuell hat sich der Bundesrat erneut dafür ausgesprochen, den Paragrafen zu ändern. Nun ist der Bundestag am Zuge. Monika Schmid­-Balzert, Sprecherin der Kampagne Mietenstopp: „Wenn die Ampel Mieter*innen wirklich besser schützen will, muss sie den Mietwucher-Paragrafen sofort für die Praxis anwendbar machen. Ansonsten bleibt er ein zahnloser Tiger.“

Juliane Schneider wartete bei Redaktionsschluss noch auf eine Reaktion ihrer Vermieterin. Sie will nicht so schnell aufgeben. „Ich kämpfe weiter, weil ich extrem hohe Mieten für eine große Ungerechtigkeit halte“, sagt sie. In München seien Mieter*innen häufig gezwungen, solche Mietverträge zu unterschreiben. „Die Alternative wäre, auf der Straße zu stehen, weil man keine Wohnung findet.“

„Viele Menschen sind extrem verzweifelt“

Neben der Mietpreisüberhöhung gibt es noch eine andere Regelung, die bei überhöhten Mieten zum Einsatz kommen kann: der Paragraf 291 des Strafgesetzbuchs. Hier muss die ortsübliche Vergleichsmiete um mindestens 50 Prozent überhöht sein. Strafe: Gefängnis von bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. In besonders schweren Fällen droht sogar eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren. Doch auch hinsichtlich dieses Paragrafen haben es Mieter*innen schwer. Wichtig für die Erfüllung des Straftatbestands ist, dass „die Zwangslage“, „Unerfahrenheit“, der „Mangel an Urteilsvermögen“ oder „die erhebliche Willensschwäche eines anderen“ ausgebeutet wird. Für München haben die Gerichte in der Vergangenheit meist so entschieden, dass auf dem Wohnungsmarkt keine Zwangslage vorliege. Es gebe an sich genügend Wohnraum.

Nur eben keinen bezahlbaren. Auch bei diesem Paragrafen wäre es wichtig, dass Mieter*innen ihn endlich besser nutzen können. Auf welchem Wege auch immer: Juliane Schneider findet, dass es Mieter*innen leichter gemacht werden muss, sich gegen überteuerte Mieten zu wehren. „Viele Menschen sind extrem verzweifelt. Bei mir geht es insofern, dass ich wenigstens ein ganz gutes Gehalt habe. Aber die Situation auf dem Münchner Mietmarkt verärgert mich sehr. Ich möchte durch meinen Einsatz etwas bewegen und anderen helfen.“

Das fordert die Kampagne Mietenstopp

Wie löchrig der gesetzliche Schutz für Mieter*innen ist, zeigt ein weiterer Aspekt an Juliane Schneiders Fall. Eigentlich hatte sie ihren Mietvertrag unterschrieben, als die Mietpreisbremse in Bayern endlich gegolten hat. Die Bremse greift bei Mietverträgen, die seit dem 7. August 2019 geschlossen wurden. Da jedoch in Schneiders Mietvertrag vermerkt ist, dass schon der Vormieter eine höhere Miete als die ortsübliche bezahlt hat, gilt eine der zahlreichen Ausnahmen. Schneider könnte über die Mietpreisbremse maximal erreichen, dass ihre Miete auf die ebenfalls hohe Miete des Vormieters gesenkt wird.

Um genau solche Schlupflöcher zu schließen, fordert die Kampagne Mietenstopp, dass die Mietpreisbremse endlich verschärft wird. Für Mieter*innen im Bestand wäre ein zusätzlicher Mietenstopp für sechs Jahre die beste Lösung: Er würde die Mieten in stark angespannten Wohnungsmärkten auf dem jetzigen Stand einfrieren. Und auch Mieter*innen wie Juliane Schneider helfen: Denn so könnte ihre einmal abgesenkte Miete nicht nach kurzer Zeit wieder erhöht werden.

Fotos: Oliver Bodmer, Philipp Gülland

 
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