Ab in die Kiste

Die Auto-Karawanen vor den Wertstoffhöfen sprechen für sich: Seit Beginn der Pandemie sortiert München in Akribie aus. Wie können wir unser Leben leichter machen? Was darf bleiben, was muss gehen? Wir haben die Aufräum-Expertin Maja Dvorak befragt (aufräumfreuden.de).

Frau Dvorak, was mache ich mit Krempel, den ich nicht mehr will, der aber zu schade ist zum Wegwerfen?

Meinen Sie generell oder in Corona-Zeiten?

Gibt es da einen Unterschied?

Oh ja. Im Lockdown ist es wirklich schwierig, intakte Dinge auf gute Weise loszuwerden. München hat dafür eigentlich einige Anlaufstellen, zum Beispiel gemeinnützige Organisationen wie die Diakonie oder den Weißen Raben. Oder die Halle 2, das ist das Gebrauchtwarenkaufhaus der Stadt München. Nur haben derzeit fast alle geschlossen. Wegen des Lockdowns. Flohmärkte gibt es auch keine. Es ist also wirklich etwas schwierig gerade.

Hauptsache ist doch, ich habe angefangen mit dem Aussortieren?

Meiner Erfahrung nach geraten Flohmarktkisten schnell in Vergessenheit und vegetieren im Keller vor sich hin. Manche Menschen neigen dazu, die Kisten und Säcke mit aussortiertem Zeug irgendwann wieder aufzumachen. Deshalb rate ich: so schnell wie möglich aus dem Haus bringen. Normalerweise. Jetzt muss man sie leider zwischenlagern, bis alles wieder offen hat.

Seit Corona sieht man ständig Warteschlangen vor den Wertstoffhöfen. Besitzen wir zu viel?

Ja, wir haben fast alle zu viele Sachen.

„Grundsätzlich ist es so: Weniger ist mehr“

Sehen Sie da bei Ihrer Arbeit Tendenzen? Typisch unnütze Dinge, die in den meisten Haushalten vor­kommen?

Es gibt wirklich etwas, das sehr verbreitet ist in diesem Land. Und das ist die Vorratshaltung an Dingen, die im Angebot waren. Das können Lebensmittel sein oder der günstige Schnickschnack aus dem Einzelhandel. Beliebt sind auch Küchengegenstände, die nie benutzt werden. Zum Beispiel Vorratsdosen in zigfacher Ausfertigung, die dafür aber Schubladen und Schränke verstopfen.

Was ist denn eine praktische Aufbewahrungs­lösung?

Ich empfehle, Gegenstände nach Themen zu sortieren. Das geht im Keller oder auf dem Speicher sehr gut mithilfe von durchsichtigen Boxen mit Deckel. Bitte nicht am Boden stapeln, sondern dafür Regale aufstellen! In der Küche wie auch im Wohnbereich sind einfache Schränke absolut funktional. Grundsätzlich ist es so: Weniger ist mehr. In die Wohnung gehört nur das, was man wirklich braucht und was jetzt zu meinem Leben gehört. Nicht die hundertste Tasse oder Bücher, die man doch nie lesen wird. Auch bei Kleidern und Medikamenten sollte man regelmäßig, zum Beispiel ein- bis zweimal im Jahr, aussortieren und alles, was abgelaufen oder seit einer Weile nicht mehr in Gebrauch ist, raushauen. Das erleichtert ungemein.

Alternativ könnte ich das eine oder andere aber auch erst mal im Keller aufheben …

… der dann zu einer Rumpelkammer verkommt. Das ist wirklich sehr verbreitet. In den Keller wie auf den Speicher gehören Sachen, die man selten beziehungsweise nur ein- bis zweimal im Jahr braucht. Weihnachtsdeko etwa oder Skier. Viel häufiger ist der Keller aber ein Verhau aus Dingen, die wir schon aussortiert, aber nicht weggebracht haben. Und wenn er voll ist, stehen sperrige Koffer und Sonstiges, was eigentlich dort stehen sollte, in der Wohnung.

„Fragen Sie sich: Brauche ich das? Gefällt es mir? Und wenn ja, wo hat es seinen Platz?“

Gerade in München muss man manchmal mit einer kleinen Wohnung vorlieb nehmen. Es ist doch normal, dass dann viel im Keller landet.

Wenn die kleine Wohnung wirklich eine Übergangslösung ist, stimme ich zu. Manche mieten auch Lagerräume an und zahlen jahrelang Miete, weil sie sich sagen: ist ja nur für den Übergang. Spätestens, wenn zwei Jahre rum sind und keine Lösung in Sicht ist, würde ich das auf den Prüfstand stellen. Und mir klarmachen: Meine Lebenssituation ist jetzt so, wie sie ist und daran passe ich mich an. Und mich dann von dem Ballast befreien.

Haben Sie einen Tipp, wie ich gleich nach diesem Gespräch damit anfangen kann?

Mein Tipp: nicht mit dem Kompliziertesten anfangen. Nehmen Sie sich erst einmal nur einen Raum vor oder einen Schrank. Machen Sie dort klar Schiff. Das motiviert. Außerdem: In vielen Wohnungen gibt es auch Dinge, für die wir uns nie bewusst entschieden haben, zum Beispiel die vielen Parfüm-Pröbchen oder die ungeliebten Geschenke, die wir aus vermeintlichem Anstand behalten haben. Fragen Sie sich: Brauche ich das? Gefällt es mir? Und wenn ja, wo hat es seinen Platz?

„Ich finde, man muss kein Minimalist sein, um es schön zu haben“

Hilft Minimalismus?

Meine Kunden sagen oft: Es soll nicht so viel rumstehen, ich mag es klar und aufgeräumt, so wie in den Zeitschriften. Aber wenn es konkret ums Verschlanken geht und um geliebte Gegenstände, fällt es vielen schwer, konsequent auszusortieren. Ich habe den Eindruck, dass Minimalismus ein Bild ist, das die meisten Menschen gar nicht leben können oder wollen. Ich finde, man muss kein Minimalist sein, um es schön zu haben zu Hause. Es wäre viel gewonnen, wenn man versucht, das Übermaß zu vermeiden.

Das klingt, als seien Sie selbst keine Minimalistin?

Das bin ich wirklich nicht. Doch je mehr ich im Auftrag anderer aufräume, desto weniger besitze ich selbst. Ein Beispiel: Ich lese gerne Krimis und habe mir die alle früher selbst gekauft. Aber Bücher, die man nur einmal liest, blockieren Wohnraum. Heute leihe ich mir Krimis in der Bibliothek aus. Nur was ich häufiger zur Hand nehme, darf bleiben. Generell versuche ich mich auf das zu beschränken, was ich heute brauche. Und nicht in 20 Jahren.

Text: Andrea Mertes
Foto: Klaus Haag

 
Hier erreichen Sie uns