Sie gehen!

Zwei Frauen, ein Problem: Wenn sie einmal in Rente sind, werden sich Caroline Iserlohe und Eva Janssen die Münchner Mieten nicht mehr leisten können. Sie haben sich entschlossen, die Stadt zu verlassen.

Caroline Iserlohe kommt ihre gute Laune eigentlich nur selten abhanden. Aber wenn sie über den Münchner Wohnungsmarkt spricht, wird die 55-Jährige wütend. Seit 1993 wohnt die Klavierlehrerin in ihrer Wohnung an der Schwanthalerhöhe. „Ich habe einen wahnsinnig netten Vermieter und bin mittlerweile so etwas wie die Hausmeisterin hier“, sagt sie. „Und trotzdem muss ich aus München fliehen, um in der Rente nicht dumm dazustehen.“ Rund 1000 Euro warm bezahlt Iserlohe derzeit für ihre 72-Quadratmeter-Bleibe, ein Preis, den sie sich leisten kann. Doch die Westend-Bewohnerin hat ein Problem: Bis zur Rente sind es nur noch etwas mehr als zehn Jahre. Als Freiberuflerin kann sie dann auf keinen Geldregen hoffen.

„Kein Mieter kann sicher wissen, ob er ewig in seiner Wohnung bleiben kann.”

Gleichzeitig steigen und steigen die Mieten in München. „Und kein Mieter kann sicher wissen, ob er ewig in seiner Wohnung bleiben kann – ein Vermieter kann schnell mal wechseln“, sagt Iserlohe. Doch sich im hohen Alter samt Klavier noch nach einer neuen Bleibe umsehen zu müssen, ist der gebürtigen Düsseldorferin zu riskant. Und deswegen hat sie sich entschlossen, schon jetzt in eine andere, preiswertere Stadt zu ziehen und sich für das Rentenalter dort eine Wohnung zu kaufen. „Ich habe mir überlegt: Woher kommt die Kultur – Goethe, Schiller, Luther? Und da ist meine Wahl auf den Osten Deutschlands gefallen“, sagt Iserlohe.

„Die Sicherheit und Sauberkeit Münchens und die Schönheit der Landschaft außenrum werden mir auf jeden Fall fehlen.“

Mit einer kleinen Erbschaft, die sie gemacht hat, konnte sie sich in Leipzig eine 95-Quadratmeter-Wohnung kaufen. „Da kriegst du in München einen Garagenstellplatz dafür.“ In zwei Jahren wird Caroline Iserlohe München den Rücken kehren. Auch wenn sie sich auf Leipzig freut, leichten Herzens geht sie trotzdem nicht. „Die Sicherheit und Sauberkeit Münchens und die Schönheit der Landschaft außenrum werden mir auf jeden Fall fehlen“, sagt die Künstlerin. Doch wenn München sie nicht mehr wolle – dann müsse sie eben gehen.

Den Umzug in eine andere Stadt hat Eva Janssen schon hinter sich. Die 56-Jährige lebt seit Anfang des Jahres in Nürnberg. Zuvor hatte sie 18 Jahre im Münchner Speckgürtel gewohnt: zunächst in Germering (Landkreis Fürstenfeldbruck), später dann in Taufkirchen (Landkreis München). Auch Eva Janssen hat gerechnet und ist zu dem Schluss gekommen: „Wenn ich in Rente bin, muss ich finanziell gesehen eh weg aus München. Doch je älter du wirst, desto weniger willst du noch umziehen. Deswegen gehe ich jetzt.“ Und so hat sich Eva Janssen nach einem neuen Job umgesehen. Und ist in Nürnberg fündig geworden. Am 1. Februar hat sie in der neuen Firma angefangen.

„Die Politik muss unbedingt eingreifen.”

Für ihre Wohnung bezahlt sie neun Euro pro Quadratmeter kalt im Monat. In Taufkirchen waren es 15 Euro pro Quadratmeter – mit einem Staffelmietvertrag, bei dem sich die Miete alle zwei Jahre um 25 Euro erhöht. „Zu Beginn der Rente wäre ich dann bei rund 1000 Euro Warmmiete gewesen – ein Ende nicht in Sicht“, sagt sie. In Nürnberg wird sie sich die Miete von ihrer Rente leisten können, wenn sie keine extremen Erhöhungen bekommt. Eva Janssen weiß, dass es viele Menschen in ihrem Alter gibt, die sich jetzt überlegen, wie sie in München in der Rente noch über die Runden kommen sollen. „Besonders häufig sind alleinstehende Frauen betroffen – die Politik muss hier unbedingt eingreifen. Andere Städte wie Wien bekommen das doch auch besser hin.“

Forscher warnen vor grauer Wohnungsnot

Sinkende Renten bei steigenden Mieten: Deutschland steuert auf eine „graue Wohnungsnot“ zu, warnt das Pestel-Institut aus Hannover in einer aktuellen Studie. Besonders kritisch werde es, wenn die geburtenstarken Jahrgänge der 1960er-Jahre zwischen 2025 und 2035 die Altersgruppe 65 plus erreichten, sagt Institutsvorstand Matthias Günther (58). Zwischen 2035 und 2040 werden zu dieser Altersgruppe nach Hochrechnungen 23 bis 24 Millionen Menschen zählen. Das sind 28 Prozent der Gesamtbevölkerung. 2017 noch machte die Altersgruppe mit 17,7 Millionen Menschen nur 21,4 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Gleichzeitig verschlechtert sich die Einkommenssituation der Älteren. „Es ist zu befürchten, dass der Anteil an Senioren, der ergänzende Grundsicherungsleistungen benötigt, von gegenwärtig drei Prozent auf mehr als 25 Prozent ansteigt“, so Günther. Doch wo sollen diese Menschen dann noch wohnen? Besonders heftig betroffen seien Regionen, in denen die Mietpreise und auch die Immobilienkaufpreise extrem hoch sind, so der Experte. Er erwartet eine regelrechte Umzugswelle unter Senioren. In München sind erste Anzeichen schon jetzt zu erkennen. Zum Beispiel darin, dass Menschen Mitte 50 sich zum Umzug in eine andere Region entscheiden. Matthias Günther: „Diese Entwicklung gibt es in allen Städten mit einem sehr hohen Preisniveau. Menschen mit mittlerem oder niedrigen Einkommen können oft nicht privat vorsorgen und bekommen auch keine Betriebsrente. Dazu kommen die steigenden Mieten: Das ist für viele nicht mehr bezahlbar.“

 

Ramona Weise

Grafik: in a nutshell

Fotos: Mieterverein München/Philipp Gülland, Sebastian Krawczyk

 
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