Mein Münchner Mietendschungel: Die Bewerbungsmappe

In unserer neuen Kolumne erzählt Schauspielerin Angela Ascher vom ganz normalen Wahnsinn als Mieterin in unserer Stadt.

Münchnerin, ich werde Münchnerin! In zwei Mo­naten, pünktlich zum Schulbeginn meiner Tochter, stand mein Umzug bevor. Zumindest theoretisch, denn ich hatte noch keine Wohnung. Dass Woh­nungen in München klein, teuer und in den guten Vierteln fast unmöglich zu finden sind, wusste ich. Als unverbesserliche Optimistin ging ich die Suche im Internet trotzdem voller Elan an. Der erste Termin, zweiter Stock in Altschwabing: Im Fünf-Minuten-­Takt werden jeweils drei Interessenten durch die Wohnung geschleust. Alle schön, schick, freundlich und mit einer Mappe in der Hand. Ich frage ein Paar Mitte 40, was das sei: „Ach, das ist eine Bewerbungsmappe mit unseren Daten, unse­ren Lohnzetteln und ungefähr 40 Fotos aus unserem Leben. Hier: wir auf Bali. Da: ein Jahr davor beim Wellenreiten in Portugal. Und hier: ganz urig, unsere Hochzeit im Bayerischen Wald. Ich bin übrigens die Ida, und das ist Kai aus Düsseldorf.“

Muss man sein ganzes Privatleben ausbreiten, um nur den Funken einer Chance zu haben?

Ah, dachte ich, wie entwürdigend. Muss man sein ganzes Privatleben ausbreiten, um nur den Funken einer Chance zu haben? So ging es weiter in den folgenden zwei Wochen: über­ all schöne, optimierte Menschen aus der ganzen Republik, mit ihren noch schöneren Mappen. Es sah nicht danach aus, dass ich hier als freischaffende Künstlerin Glück haben würde.

Eines Tages landete ich in der Mauerkircherstraße, das Haus fast an der Isar. Vor mir in der Schlange aus mindestens 20 War­tenden: alte Bekannte – das dauergrinsende Düsseldorfer Bu­sinesspärchen. „Auch noch nicht erfolgreich gewesen?“, fragte ich. „Ne, aber wir sind zuversichtlich. Wir haben unsere Mappe optimiert!“ Als es 20 Minuten später an der Wohnungstür hieß: „Sie haben keine Mappe? Leider kein Einlass!“, wusste ich, jetzt komme ich nicht mehr drum herum. Ich ergab mich und bas­telte eine. Die ganze Nacht und der halbe Vormittag gingen drauf.

Und dann Samstagnachmittag, neuer Besichtigungstermin, neues Glück! Eine Wohnung, mitten im Lehel. Als ich ein paar Eisbach­-Surfer an der Straßenbahn-Haltestelle rum­lungern sah, ging mir das Herz auf. Schnell das Kleid zurechtge­zupft, und gerade, als ich in meine Tasche nach dem Lippenstift griff, fiel mir auf: In der Hektik hatte ich meine Bewerbungsmap­pe vergessen! Ich klingelte trotzdem und ging in den dritten Stock: Eine wunderschöne Altbauwohnung, nicht billig, aber grad noch ir­gendwie leistbar, mit einem kleinen Balkon, der auf einen In­nenhof mit Meister-Eder-Lebensgefühl zeigte. Als alle meine Konkurrenten ihre Bewerbungsmappen abgaben, schaute ich wehmütig und dachte, hier wärs schön, hier würde es mir ge­fallen. Die Vermieterin fragte: „Haben Sie eine Bewerbungs­mappe dabei? Was machen Sie beruflich?“ — „Nein, keine Be­werbungsmappe, und ich bin Schauspielerin. Wirklich schöne Wohnung“, lächelte ich sie müde an und ging.

Zu Hause setzte ich mich wieder an meinen Rechner. Mut­los durchkämmte ich erneut Wohnungsportale nach Angeboten. Da klingelte das Telefon, die Frau von der Besichtigung war dran: „Guten Tag Frau Ascher. Sie können die Wohnung haben.“ In Sekundenschnelle schoss mir das Adrenalin ins Blut und ich stammelte: „Ach wirklich, ich krieg die Wohnung, ah, Sie haben ein Herz für Künstler, wahrscheinlich haben S’ mich im Fernsehen g’sehn …“ „Nein, nein, Sie waren nur die erste von 52 Bewerbern, die nicht mit so einer peinlichen Bewerbungs­mappe angerückt ist!“

Auf dem Nockherberg spielt Angela Ascher seit 2013 Ilse Aigner. BR-Zuschauer kennen die in Dorfen aufgewachsene Schauspielerin auch aus der Serie „3 Frauen 1 Auto“ und von „Fraueng’schichten“. Best-of der Sketch-Comedy im BR an Silvester, 31. Dezember 2021, 19:30 Uhr.


Text: Angela Ascher
Foto: Ela Angerer, Illustration: Daria Rychkova/kombinatrotweiss

 

 

 
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