Draußen wohnen, drinnen arbeiten

Kevin Martin (27) sieht für sich und seine Freundin beim Wohnen keine Zukunft in der Stadt. Jetzt pendelt er pro Arbeitstag zweieinhalb Stunden.

„Wenn ich das jetzt so sehe, werde ich schon nostalgisch. Wenn ich hier noch wohnen würde, hätte ich ganz schön kurze Wege“, sagt Kevin Martin. Er steht vor einem Beautysalon im Westen Schwabings und schaut nach oben. Direkt über dem Salon, der früher eine Wäscherei war, hat er mal gewohnt, in einer WG. Es war eine von fünf Stationen, die der heute 27-Jährige in München schon hinter sich hat, seit er als Student 2013 herkam. Der sechste Umzug war der aus der Stadt raus. Kevin Martin hat sich für ein Leben als Pendler entschieden. Er wohnt seit April in Weilheim und pendelt pro Arbeitstag rund zweieinhalb Stunden, mit dem Zug und der U-Bahn. „In der Stadt gab es einfach keine Perspektive für mich“, sagt er.

„Ich hatte kein großes Budget und ich kannte in München niemanden“

Kevin Martins Geschichte ist nicht außergewöhnlich, es ist eine ganz normale Geschichte von einem jungen Mann, der herkam, um hier zu studieren und dann hier zu arbeiten und vielleicht irgendwann eine Familie zu gründen. Doch auf diesem Weg kehren immer mehr junge Leute der Stadt den Rücken – weil das Wohnen einfach zu teuer ist. „Mein letztes WG- Zimmer war in Berg am Laim, 11,6 Quadratmeter für 480 Euro warm.“ Kevin Martin nennt die Quadratmeterzahl immer mit Kommastellen, denn bei den Größen, von denen er spricht, kommt es auf jeden Winkel an. Schon als er 2013 als Student von Hessen nach München kam, war der Wohnungsmarkt eine Herausforderung. „Ich hatte kein großes Budget und ich kannte in München niemanden. Und als Student kriegst du ja tendenziell eh nur Absagen“, erzählt er. Das erste Zimmer war zur Untermiete bei einer älteren Dame, ziemlich weit draußen. Später ergattert er sogar einen Platz in einer Studierenden-Wohnanlage. „17,9 Quadratmeter“, sagt er, und es hört sich nach purem Luxus an. Doch man darf nur drei Jahre in so einem Wohnheim bleiben, also landet er nach einer Zwischenstation in Olching im Landkreis Fürstenfeldbruck hier in der Schwabinger WG.

Studierende in München suchen verzweifelt nach bezahlbarem Wohnraum

Das Thema „Wie wohnst du und was zahlst du?“ und auch „Weißt du was Bezahlbares?“ ist unter den Studierenden in München ein Dauerbrenner. „Irgendwie erzählt einem jeder die gleiche Geschichte. Und alle, die ich kenne, müssen neben dem Studium arbeiten.“ Zur finanziellen Belastung kommt immer auch das Gefühl der Unsicherheit. „Man denkt immer, hoffentlich gibt’s keine Mieterhöhung oder noch Schlimmeres.“ Letzteres ist Kevin Martin mit der Wohnung in Schwabing passiert: Der Hauptmieter der WG kündigte den anderen beiden Mitbewohnern wegen Eigenbedarfs, an Weihnachten. Drei Monate hatte Martin Zeit, etwas Neues zu finden. „Der Hauptmieter war mit dem Studium fertig und wollte mit seinem Partner zusammenziehen. Und er hat natürlich auch nichts gefunden, was so günstig gewesen wäre wie die alte Wohnung.“
Zurzeit arbeitet Kevin Martin, der sein Studium abgebrochen hat, als Teamassistent bei den Stadtwerken, als Nebenjob auch noch im Tierpark. Sein Ziel ist, die Prüfung zum Bürokaufmann zu machen. Die Stadtwerke haben auch Werkswohnungen. „Da ist es aber Bedingung, dass man mindestens noch ein Jahr angestellt ist. Ich bin aber derzeit noch befristet.“

„Wir haben 82 Quadratmeter für 1.200 Euro warm“

In seiner WG, in der er zuletzt wohnte, hatte er einen Staffelmietvertrag. „Die Vorstellung, dass ich da für meine 11,6 Quadratmeter immer mehr bezahle und mich mit meiner Freundin nicht mal in ein Wohnzimmer setzen kann, fand ich auf Dauer nicht so toll.“ Da seine Freundin aus Weilheim stammt und dort einen Job hat, zog das Paar nun draußen zusammen. „Wir haben 82 Quadratmeter für 1.200 Euro warm“, sagt er und lässt die Kommastelle weg. Eine Terrasse und ein Gartenanteil sind auch dabei – und ein drittes Zimmer. „Ich zahle jetzt also gut 120 Euro mehr als vorher für meine 11,6 Quadratmeter.“ Er nimmt in Kauf, dass er am Stadtleben weniger teilnehmen kann. „Um 0:30 Uhr geht der letzte Zug, und zum Bahnhof muss ich ja auch noch kommen. Je nachdem, wo man ist, geht man abends halt als Erster nach Hause.“ Dass er je wieder in die Stadt zieht, sieht er derzeit nicht. Trotzdem will er sich einsetzen für ein München, in dem nicht nur die Reichen leben können. Martin engagiert sich bei den Jusos, kämpft auch für den Mietenstopp. Dass die Ampelkoalition sich nicht auf ein Mietenmoratorium einigen konnte, findet er enttäuschend. „Das Thema Wohnen ist eine Riesenbaustelle, das wird uns noch über Jahre begleiten. Die Stadt versucht ja vieles, aber das reicht nicht, es muss auch auf Bundesebene mehr passieren“, sagt er. „Die soziale Durchmischung in München kann sonst nicht erhalten werden.“

Text: Tina Angerer
Fotos: Philipp Gülland

 
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