Die guten alten Zeiten?

Unsere Kolumnistin Angela Ascher erinnert sich an legendäre Partys mit Tetra-Pak-Wein, Geschirrberge und Senfbrote

Grafische Darstellung einer Frau, die Rotwein trinkt und im Hintergrund wird eine Party von ihren Mitbewohnern gefeiert

An einem herrlich lauen Frühsommerabend saß ich bei einem guten Glas Rotwein und einem Antipasti-Teller auf meinem kleinen Münchner Hinterhofbalkon. Ich war gerade sehr zufrieden, als mein Blick über den Innenhof schweifte und ich schräg gegenüber fünf junge Leute einziehen sah – und plötzlich kam mir meine geordnete Welt gar nicht mehr so perfekt vor, sondern ein bisschen langweilig … 1998, Hamburg-Altona, Vierer-WG, Erdgeschoss, Altbau. Arne und Thommy, Musiker einer Hamburger-Schule-Band, Kathi, die Theaterwissenschaft-Studentin und ich, Schauspielstudentin. Plötzlich saß ich in der Küche von damals, und aus der Stereoanlage schmetterte Alanis Morissette ihre 90s-Hymne „Ironic“. Ich trank säuerlichen Rotwein aus dem Tetra Pak, und der Aschenbecher quoll über. Gegenüber saß meine Mitbewohnerin, wir sinnierten über Gott und die Welt, die sowieso uns gehörte. Die Jahrtausendwende machte uns keine Sorgen. Falls die Welt untergehen sollte, würden wir das auf einer rauschenden WG-Party erleben.

Unsere Partys waren legendär: 50 Freunde eingeladen, 130 kamen. Gefeiert wurde, bis die Polizei kam. Danach ging es bis in die Morgenstunden weiter, nur etwas leiser. Alles in der Glücksburger Straße. Ja, das waren glückliche Zeiten. Der Morgen danach war oft nicht so glücklich: Im Gang schliefen stark alkoholisierte Menschen, und die Toilette war verstopft – ganz zu schweigen von dem riesigen Rotweinfleck auf dem Teppich, einem Erbstück meiner Oma. Im Alltag gab’s Geschirrberge, Haare im Ausguss, den coolen Thommy, der um 3 Uhr in der Früh laut Hamburger Schule hörte und WG-Spießer Arne, der uns ermahnte, endlich mal zu saugen. Ich war irgendwo im Mittelfeld und ärgerte mich über den leer gefressenen Kühl- schrank und die verbleibenden Senfbrote zum Abendessen.

Plötzlich wurde ich von Robbie Williams lautem „Angels“ aus meinen Tagträumen geweckt. Meine Tochter stand neuerdings auf die 90er. Ich schaute in ihr Zimmer, und da gammelte sie mit fünf Leuten und einer Rotweinflasche. Als diese bei meinem Eintritt so schnell wie möglich hinterm Schrank verschwinden sollte, kippte sie um und ergoss sich auf den Boden. Im selben Moment schrie mein Mann aus dem Bad, warum schon wieder er die Haare aus dem Ausguss entfernen müsse. Ich schlich mich zurück auf meinen Balkon und dachte, eigentlich ist das alles gar nicht so anders als damals. Ziemlich zufrieden biss ich in die köstlichen eingelegten Tomaten aus Italien. Auf das Senfbrot konnte ich verzichten.


eine Frau streift sich durchs Haar und trägt ein grünes OberteilDie Schauspielerin und Kabarettistin Angela Ascher ist seit Juni mit ihrem Comedy-Programm „Verdammt, ich lieb’ mich“ auf Tour. Am 14. Juli tritt sie im „Schlachthof“ auf.
Weitere Termine und Infos gibt es auf www.angela-ascher.de

 


Foto: Ela Angerer; Illustration: Daria Rychkova/kombinatrotweiss

 
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